17.05.2015 Shayan Arkian

Trotz 9 Millionen Sunniten sind Rekrutierungsversuche des „Islamischen Staats“ (IS) in Iran kaum erfolgreich


Gemeinschaftsgebet Gelehrten Klerus

Sunniten beim Gebet in Iran.

Im Folgenden geben wir die Gründe für die relativ erfolglosen Anwerbungsversuche des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) in Iran wieder. Der Artikel basiert auf einen Vortrag von Shayan Arkian, dem Chefredakteur von IranAnders, den er am 29. April 2015 bei einer internationalen Expertentagung der CSU-nahen "Hanns-Seidel-Stiftung" hielt. 

Die Rekrutierungsversuche des „Islamischen Staats“ (IS) in Iran verlaufen - wie in Deutschland - meist über das Internet. Im inländischen Kampf Teherans gegen den IS wirkt neben den politischen, sozialen und religiösen Komponenten daher die technische Komponente mit. Die iranische Erfahrung im Kampf gegen den IS auf eigenem Boden stellt einen aufschlussreichen Kontrast zur Situation in Deutschland dar.

Technische Rahmensituation des IS in Iran

Iran gilt nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ und „Freedom House“ als einer der größten Feinde des freien Internets. Es gibt gleich mehrere Institutionen, die das Internet restriktiv reglementieren, beschränken und beobachten, darunter der Geheimdienst, die Cyberabteilung der Justiz (CDICC), die Cyberabteilung der Bundespolizei (FATA), die Cyberabteilung der Revolutionsgarde und semi-staatliche Entitäten, wie die „Iranian Cyber Army“, die aus gewöhnlichen konservativ-ideologisierten Internetusern und –spezialisten besteht, also eine Cyber-Volksmiliz.

Die Blockierung von Inhalten und Kontrolle des Internets werden in Iran präventiv, interzeptiv und reaktiv vorgenommen. In Iran ist es relativ leicht, schnell und unbürokratisch, Inhalte im Netz zu blockieren. Selbst Internetnutzer im Internet-Cafe werden anhand des Personalausweises registriert und obligatorische Überwachungskameras speichern die Geschehnisse der letzten sechs Monate ab. Die Nutzung von Annonymisierungsoftwares (VPN) sind ohnedies verboten und werden teilweise blockiert.

Ein General der Revolutionsgarde (IRGC, Sepah-e Pasdaran) proklamierte, dass die Islamische Republik die viertgrößte Cybermacht sei. Diese Selbstdarstellung wird von der renommierten israelischen Denkfabrik „Institute for National Security Studies“ geteilt. Hintergrund der Stärke Teherans im Internet sind die Cyber-Angriffe gegen sein Atomprogramm durch die USA und Israel vor etwa 5 Jahren. Seitdem hat der Staat massiv in die Abwehr von Gefahren aus dem Internet investiert.

Die Aktivitäten des IS im iranischen Raum finden vor allem bei Facebook statt. Allerdings haben in den Provinzen mit großer sunnitischer Bevölkerung nur zwischen 32 bis 41 Prozent der Menschen einen Zugang zum Internet, davon statistisch gesehen nicht einmal die Hälfte einen Facebook-Account.

Politische Rahmensituation des IS in Iran

Die iranischen Sicherheitsbehörden gehen nicht nur gegen offenkundige Cyber-Aktivitäten des IS vor, sondern vor allem auch gegen jegliche Missionierungen durch Salafisten und Wahhabiten. In der Islamischen Republik Iran wäre die Durchführung von Konvertierungskampagnen, wie die „Lies!-Aktion“, wo salafistische Literatur neben Koranen an Fußgänger verteilt werden, unmöglich. Das Missionierungsverbot, das übrigens auch für Schiiten gilt, ist ein wichtiger Faktor, der erklärt, weshalb der IS bisher unter der sunnitischen Bevölkerung Irans - die immerhin neun Millionen Menschen ausmacht - keinen Fuß fassen konnte. Denn in fast allen Ländern, wo dem Salafismus freie Hand gewährt wird, sich auszubreiten, gibt es auch signifikant mehr IS-Rekruten.

Soziale Rahmensituation des IS in Iran

Obwohl Iran ein Mehrfaches an sunnitischer Bevölkerung beherbergt als Deutschland mit seinen schätzungsweise 3 Millionen Sunniten, konnten die dschihadistischen Gruppen in Syrien und im Irak - im Gegensatz zu den etwa 680 Rekruten aus Deutschland - nur zwischen 20 bis 50 Bürger der Islamischen Republik anwerben.

Einer der Ursachen für die auffällig wenigen Rekruten aus Iran, ist, dass die sunnitischen Iraner alteingesessen sind und nicht die typischen sozialen Probleme von Immigranten mit sich bringen, wie die IS-Rekruten aus Deutschland. Ja, Iran ist sogar erst seit 500 Jahren schiitisch und war davor sunnitisch.

Religiöse Rahmensituation des IS in Iran

Ein weiterer Grund ist, dass die iranischen Sunniten Schafiiten und Hanafiten sind. Beide gehören zu der rationalistischen Schule des Sunnitentums und stehen somit der Buchstabentheologie des Salafismus diametral gegenüber. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass vornehmlich Hanbaliten (s. Saudi-Arabien) und Malikiten (s. die Maghrebstaaten) zum IS stoßen, da sie mehr Gemeinsamkeiten mit dem Salafismus haben als Hanafiten (s. die Türkei) und Schafiiten (s. Ostasien).

Des Weiteren ist die Religiosität der Sunniten im Westen Irans - das an den Irak grenzt, wo der IS tobt - vom geistreichen Sufismus beeinflusst, der nun alles andere als ein Freund des puritanischen Salafismus ist.

Insgesamt stößt deshalb das harte Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen missionarische Salafisten bei der Mehrheit der Sunniten und ihren Gelehrten auf Wohlwollen, zumal die iranischen Behörden und Offiziellen sehr scharf zwischen klassischen Sunniten und Salafisten differenzieren und sich keiner sektiererischen Rhetorik bedienen. Sunnitische Gelehrte und Führer der Sufis kooperieren gar mit den iranischen Behörden, um eine Verbreitung des Salafismus zu verhindern.

Fazit

Zu resümieren ist, dass der Erfolg Irans im inländischen Kampf gegen den IS darin geschuldet ist, dass der Staat massiv das mit Füßen tritt und einschränkt, was wir als Bürgerrechte verstehen, sprich eine strenge Reglementierung des Internets und das Verbot von religiöser Missionierung. Zugleich haben jedoch Sunniten durchaus fast die gleichen Freiheitsrechte wie die Schiiten. So sitzen beispielsweise im iranischen Parlament 18 sunnitische Abgeordnete; und Sunniten haben nicht nur verhältnismäßig mehr Moscheen als die Schiiten, sondern sie unterhalten darüber hinaus mehrere eigene Theologische Hochschulen mit mehreren tausenden Studenten. 

Zu Gute kommt den iranischen Sicherheitsdiensten, dass die einheimischen Sunniten zu den gemäßigten Denk- und Rechtschulen des Sunnitentums gehören. Hinzu kommt, dass die Sunniten im irakischen Grenzgebiet Kurden sind und eher mit säkularen und nationalen Anschauungen, als mit religiösen Ideologien sympathisieren, sofern sie eine fundamentalkritische Position zur Islamischen Republik haben. In Iran hat der IS deshalb Konkurrenz, wenn es darum geht, junge Menschen mit Kriegs- und Abenteuerlust zu locken - es wirken dort immer noch die militanten Nationalbewegungen der Kurden. Wenn also junge Sunniten in Iran rebellieren und sich einer militanten Gruppe anschließen möchten, haben sie die Wahl. In Deutschland hingegen bieten sich ausschließlich die dschihadistischen Gruppen an.

Kurzum sind ungleich wie in Deutschland die technischen, politischen, sozialen und religiösen Grundlagen und Rahmensituation für eine breite Aktivität des IS sowohl in der iranischen Cyberwelt als auch vor Ort in den sunnitischen Gebieten Irans kaum gegeben. Iran bietet weder einen großen Handlungsspielraum für den IS noch für den ausufernden Salafismus.


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Medium Mark18-05-15

Wichtig hierbei ist auch, dass iranische Sunniten über die Lehrinhalte des sunnitischen Islams, im Gegensatz zur muslimischen Jugend in der BRD, gut informiert und über die neuesten "Fatawa" (Rechtsurteile) der islamischen Universitäten von Al-Azhar und Deoband erkundet sind. So nebenbei bemerkt gibt es zwischen Salafismus und Wahhabismus keinen ideologischen Unterschied; beides beschreibt die selbe Bewegung, mit dem Unterschied, dass S. ein Wortprodukt amerikanischer Medien ist (salafism) und sich auf die Eigenbezeichnung der Wahhabiten ("Salafi's") bezieht und W. die frühere, von Islamgelehrten im 18. Jahrhundert gewählte Bezeichnung für jene, vom klassischen Islam abweichende Lehre ist.

Orientalist19-05-15

Eine sehr aufschlussreiche Analyse. Vielen Dank dafür!

Die Analyse zeigt auf, dass es zwei Hauptgründe für IS-Rekruten gibt: Der Salafimus und Integrationsprobleme, die Sunniten und Konvertierten in den Händen des Salafismus treiben. Es gelten immer beide Faktoren und nicht allein ein Faktor. Also muss auch der Salafismus bekämpft werden und nicht nur Intergrationsprobleme beseitig werden.

Le Mec19-05-15

Persönlich hätte ich als Ursache für die unterschiedlichen Rekrutierungserfolge auch das Bewusstsein bei einem durchschnittlich gebildeten Sunniten darüber aufgeführt, dass es sich bei Sunnitentum und Wahabismus um zwei verschiedene Dinge handelt. Das ist vielen in Deutschland nicht bewusst (auch weil unsere Medien hier nicht differenzieren). In Iran wird das sehr deutlich betont.





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