21.02.2015 Arash Azizi

Die neue Zensurpraxis unter Hassan Rouhani


Iran

Ein Kunde hält ein Exemplar des übersetzten Romans "Elf Minuten" von dem brasilianischen Schriftsteller Paulo Coelho in einem Buchladen im Zentrum Teherans.

Als der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad 2009 auf seinen Hauptrivalen Mir-Hossein Mousavi in einer hitzigen Fernsehdebatte traf, räumte der sonst unnachgiebige Regierungschef zumindest einen Fehler ein: Als Mousavi die Regierung unter Ahmadinejad für ihre willkürliche Bücherzensur kritisierte, erwiderte dieser: „Ja, ich stimme mit Ihnen darüber überein. Ich habe bereits dem Kulturminister geschrieben und ihn davor gewarnt.“ Aber vereinfacht ausgedrückt, blieben die gesamten acht Jahre der Präsidentschaft Ahmadinedschads doch einige der härtesten Jahre für die Verlagswelt in Iran. Viele der Schriftsteller gaben aufgrund einer massiv zunehmenden Zensur und Schikanen auf.

Im Jahr 2013 übernahm dann Hassan Rohani das Präsidentenamt und versprach, der Kulturszene des Landes neues Leben einzuhauchen. Viele der Schriftsteller und Verleger berichten nun Al-Monitor von einer spürbaren Lockerung der Bücherzensur. Es scheint, als habe Rohani zumindest in dieser Frage sein Versprechen halten können. Letzte Woche auf einer jährlichen Buchpreisverleihung in Teheran kritisierte Rohani die willkürliche Zensur von Büchern und sagte, er bevorzuge, die Aufgabe der Bücheraufsicht der Verlagsindustrie selbst zu übertragen.

Es ist in der Tat schwierig zu übertreiben, wie sehr sich Irans Schriftsteller und Verleger in den acht Jahren unter Ahmadinejad bedrängt gefühlt haben. Die Islamische Republik war zwar niemals eine Bastion der Meinungsfreiheit, aber während dieser Zeit liefen die Dinge doch auf einer anderen Ebene.

Demgegenüber unter Präsident Mohammad Khatami (1997-2005), insbesondere während seiner ersten Amtszeit, waren die meisten Restriktionen zur Buchveröffentlichung aufgehoben. Die komplizierte Machtstruktur in Iran bedeutete zwar für die Autoren noch immer eine mögliche Verfolgung, aber Khatamis „Ministerium für Kultur und Islamische Führung“ stand tatsächlich in den meisten Fällen auf ihrer Seite. „Wir wären sogar vor Gericht gegangen und hätten die Bücher, die bereits veröffentlicht worden waren, verteidigt“, erklärte Khatamis stellvertretender Kulturminister Ali Asghar Ramezanpour gegenüber Al-Monitor. Nach Jahren der Zensur konnten Linke endlich Werke von Marx und Lenin kaufen und neu belebte Journalisten schrieben Bücher, die gar die höchsten Persönlichkeiten des Establishments kritisierten.

All dies kam aber zu einem ziemlichen abrupten Ende, als Ahmadinejad an die Macht kam. Sein kompromissloser Kulturminister Mohammad Hossein Safar-Harandi annullierte unverzüglich einige der Berechtigungen, die sein Vorgänger ausstellte. „Diese hohe Mauer wurde errichtet und wir fühlten uns, als hätten wir keine Chancen, irgendein Buch mehr zu veröffentlichen“, sagt Anita Yarmohammadi, eine von Irans jungen Nachwuchsautoren gegenüber Al-Monitor. Ramezanpoor, der die mächtige Kulturabteilung des Ministeriums davor leitete, erinnert sich an die ersten Wochen der Regierung Ahmadinejads sehr genau. Er wurde mehrfach vor Gericht zitiert, um sich zu den von ihm genehmigten Büchern zu äußern. Darunter waren nicht nur kontroverse Bücher wie „Der Schleier und die männliche Elite: Eine feministische Interpretation“ von der Marokkanerin Fatima Mernissi oder „Die rote Eminenz und die graue Eminenz“ von Akbar Ganji. Ramezanpoor erinnert sich auch an eine bizarre Befragung zu einem Buch über Humanbiologie. Die neuen Zensoren mochten es nicht, wie Wörter wie „Vormund“ oder „Führung“ verwendet wurden, um Blutzellen zu beschreiben, weil sie gewöhnlicherweise genutzt wurden, um die Stellung des religiös-politischen Staatsoberhaupt zu beschreiben.

Die Kulturabteilung des Ministeriums wurde von Leuten wie Parviz Mohsen geleitet, der sagte, dass die, die sich über die Zensur beschweren, „in Wirklichkeit gegen die gesamte Ordnung der Islamischen Republik wären“. Oder von solchen wie Bahman Dorri, der einmal der Publikationsabteilung der iranischen Revolutionsgarden vorstand und Titel wie „Die absolute Vormundschaft des Rechtsgelehrten ist eine Säule der Religion“ verfasste. Alteingesessene Verleger wie die Feministin Shahla Lahiji empfanden diese Ära sogar schlimmer als die vom Krieg zerrütteten 1980er Jahre. Die Werke ausländischer Schriftsteller wie William Faulkner, Frederico Garcia Lorca und Gabriel Garcia Marquez wurden verboten, obwohl sie über Jahre Bestseller waren. Klassiker der modernen persischen Literatur von Sadeq Hedayat bis Forough Farokhzad standen auch vor Schwierigkeiten. Bizarrerweise waren sogar die Werke von Khawja Abdullah Ansari, eines persischen Sufis aus dem Herat des 11. Jahrhunderts, mit Restriktionen konfrontiert.

Weniger als zwei Jahre nach dem Amtsantritt Rohanis gestalten sich die Dinge nun gänzlich anders. Der neue Kulturminister Ali Jannati ist zwar nicht unbedingt als Reformer bekannt, hat aber den Ruf, „sehr aufgeschlossen“ zu sein, wie Ramezanpoor ihn lobt. Dabei kommt ihm zugute, dass sein Vater, Ayatollah Ahmad Jannati, einer der gefestigten, unnachgiebigsten Persönlichkeiten des Establishments ist. Aber durch Aktionen wie solchen, dass er sich offen gegen die Internetzensur aussprach, ist Ali Jannati zum beliebten Angriffsziel der Hardliner geworden. Sein Vater wiederholt inzwischen, dass er seinem Sohn ablehnend gegenübersteht. Er gilt bereits als der Nächste in einer Reihe von Ministern, die vom konservativ dominierten Parlament mit dem Amtsenthebungsverfahren bedroht werden. Während die Internet- und Pressezensur wie oben für viele Schlagzeilen sorgt, geschieht die Lockerung der Zensur von Büchern allerdings leise und ohne großen Wirbel.

„Die Verantwortlichen in allen Etagen und auf allen Ebenen des Ministeriums wurden ausgewechselt“, stellt Ramezanpoor fest und fügt hinzu: „Ahmadinejad hatte Personen mit Hintergrund in den iranischen Revolutionsgarden, dem Militär oder der Justiz ernannt. Nun aber arbeiten einmal mehr wieder literarisch gesinnte Menschen im Ministerium.“ Dieser Fortschritt entspricht genau dem, was Jannati sehr früh versprach. Er kritisierte die vorherige Regierung und resümierte: „Verantwortliche haben ohne die notwendigen Fachkenntnisse die Veröffentlichung einiger Bücher mit fadenscheinigen Argumenten verhindert.“ Und witzelte: „Falls der Qur’an nicht von Gott stammen würde, hätten sie sogar diesen verboten.“

Der neue stellvertretende Kulturminister Abbas Salehi versprach dagegen die willkürlichen Verbote zu beenden und innerhalb von 30 Tagen auf allen Anträgen zur Veröffentlichung von Büchern zu antworten. Berichte zeigen, dass er sein Versprechen bisher weitestgehend halten konnte. „Es ist wie ein Wunder“, sagt Yarmohammadi. „Mein neuer Roman bekam nach weniger als einem Monat eine Antwort. Und sie wollten nur ein paar Änderungen.“ Und Nikoo Khakepoor, ein Schriftsteller, der in London und Teheran lebt, sagt gegenüber Al-Monitor: „Einer der größten Vorteilen ist nun, dass sie uns wieder mit den Zensoren reden lassen, um zu verstehen, welche Bedenken sie haben. Die Mauer wurde eingerissen.“ Der angesehene Literat und Übersetzer Arsalan Fasihi schlägt in der gleichen Kerbe und sagt: „Die Situation ist viel besser geworden.“ Viele seiner Übersetzungen des türkischen Nobelpreisträgers Orhan Pamuk werden nun veröffentlicht, nachdem sie fast ein Jahrzehnt verboten waren. Er verkündete sogar, dass Pamuk diesen Monat zur Premiere der persischen Übersetzung seines ersten Buchs „Cevdey Bey und seine Söhne“ nach Iran reisen werde.

Wie immer muss aber Optimismus mit Vorsicht genossen werden: Die bekannte Regisseurin Tahmine Milani wurde kürzlich vor Gericht zitiert, um sich zu einem Buch zu äußern, das legal veröffentlicht worden war; eine aus der Präsidentschaft Ahmadinedschads bekannte Praxis, die die neue Regierung eigentlich  zu beenden  versprach. Das letzte Werk des führenden iranischen Schriftstellers Mahmood Dowlatabadi erhielt zudem keine Genehmigung, obwohl es bereits auf Englisch und Deutsch erschienen war und gefeiert wurde. Ramezanpoor erklärt, dass Hardliner diese wiedererlangte Freiheit beginnen könnten, zu attackieren. Er ist auf lange Sicht nicht sehr hoffnungsvoll. Viele aber bevorzugen, erst einmal optimistisch zu bleiben. „Es ist, als wäre ein großer Damm eingerissen worden und der Fluss fließt nun wieder“, sinniert Yarmohammadi. „Ich sehe die kommenden Tage voller Energie und Leben.“


Erstmals veröffentlicht am 10. Februar 2015 bei Al-Monitor. Übersetzt von der Iranistin und freie Journalistin Lena Späth (le.spaeth@gmx.de) aus Barcelona.


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Anderer Meinung21-02-15

"Alteingesessene Verleger wie die Feministin Shahla Lahiji empfanden diese Ära sogar schlimmer als die vom Krieg zerrütteten 1980er Jahre."

Das ist ja klar, dass die Dame so dermaßen übertreibt. Wahrscheinlich gehörte sie in den 80ern wie Mousavi zu den Linksislamisten, die dann in den 90ern als Reformer im Westen salonfähig geworden sind. Die meisten Exzessen und Toten in den 80ern stammen von den Linksislamisten. :)

Kann ich nur beipflichten...22-02-15

... und während der Ära Khatamis gab es die ganzen Kettenmorde gegen die Intellektuellen Irans. Solche Vorfälle gab es nie in der Ära Ahmadinedschads! Im Gegenteil, es waren wieder die Reformer, die das Land am Rande des Abrgunds brachten und für Tote und Verletzte sorgten als sie ohne Beweise auf die Straßen gingen, um gegen eine gültige Wahl zu demonstrieren und dann später größtenteils einräumten: "Ups, die Wahl war doch richtig." Na danke!





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