07.11.2014 Shayan Arkian

Wie Iran den IS bekämpft und sich trotzdem nicht der US-Koalition anschließt


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Eine iranische Karikatur, die gut das iranische Empfinden über die Anti-IS-Koalition der USA wiedergibt.

Als der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) am 10. Juni den Großteil der nordirakischen Großstadt Mosul im Handstreich eroberte, waren sich nahezu sämtliche Beobachter im Westen einig, dass die Vereinigten Staaten von Amerika bei der Bekämpfung der neuen terroristischen Bedrohung die Unterstützung der Islamischen Republik Iran benötigen. Es wurden Szenarien und Optionen entworfen, wie so ein gemeinsamer Kampf gegen den IS aussehen könnte, denn schließlich hat Teheran enormen Einfluss im Irak und hilft bereits seit etwa drei Jahren den oftmals totgesagten Präsidenten Bashar al-Assad in Syrien, die Bedrohungen des IS und seiner Vorgängerorganisation in Syiren, der Al-Nusra-Front, abzuwehren. Eine Beteiligung Irans bei einem Kampf gegen den IS wäre daher nur natürlich.

Aber drei Monate nach dem Fall von Mosul schmiedeten die USA eine internationale Koalition gegen den IS - ohne die Islamische Republik Iran daran zu beteiligen. Hintergrund sind die divergierenden strategischen Interessen der USA und Iran in der Region. Washington ist in einem losen Bündnissystem integriert, das Staaten wie Israel, Saudi-Arabien und Ägypten enthält – alle Staaten mit feindlichen Beziehungen zu Iran. Auf der anderen Seite ist Teheran in einem losen Bündnissystem integriert, das Staaten und Akteure wie Syrien, Hisbollah und Hamas enthält – alles wiederum Akteure mit feindlichen Beziehungen zu den USA, Israel und Saudi-Arabien.

Allein dieser Umstand würde ausreichen, um Iran von einer von den USA geführten internationalen Koalition gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) auszuschließen. Und in der Tat führten im Hintergrund massive Druckausübungen und Bedenken der US-Alliierten Israel und Saudi-Arabien zur Umgehung Teherans.

Allerdings gab es auf der anderen Seite - in der Islamischen Republik Iran - ebenso massive Vorbehalte gegen die Teilnahme an der US-Koalition. Allen voran drückte das religiös-politische Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ali Khamenei, der die ultimative Entscheidungsgewalt über die iranische Außen- und Sicherheitspolitik innehat, sein Misstrauen über die strategische Zielsetzung der Koalitionäre aus. In einem Interview mit dem iranischen Staatssender vom 15. September sagte der schiitische Geistliche Folgendes: „Mit diesem Schritt will Amerika das Gleiche im Irak und in Syrien tun, was es bereits in Pakistan tut. Sie verletzen ohne Befugnis die territoriale Integrität Pakistans, obwohl das Land eine fest etablierte politische Ordnung und eine starke Armee – die pakistanische Armee ist eine starke Armee – hat, und bombardieren dort, wo immer sie wollen.“ Des Weiteren fügte der Ayatollah hinzu, dass in Wahrheit die Amerikaner von Anbeginn der Irak-Krise ein Arrangement mit der Islamischen Republik bezüglich IS erreichen wollten, aber Teheran hätte dies abgelehnt, weil es den Absichten Washingtons nicht traue.

Denn aus iranischer Sicht ist es der Politik Washingtons und seiner Verbündeten in der Region zu verdanken, dass der sogenannte „Islamische Staat“ an Macht und Einfluss in der Region gewonnen hat. Das NATO-Land Türkei habe den Zulauf der Terroristen über ihre Grenzen nach Syrien gewährt, Saudi-Arabien und Katar haben zumindest die Finanzierung des IS geduldet, wenn nicht sogar selbst finanziert, und der Westen habe jegliche Versuche einer politischen Lösung mit Bashar al-Assad torpediert. Dadurch ist der IS erst zu dieser Bedrohung geworden, die er heute darstellt. Das iranische Misstrauen wird noch dazu dadurch bestärkt, dass die Anti-IS-Koalition auch die Bewaffnung und Ausbildung anderer syrischen Rebellen vorsieht, um letztlich auch Assad zu schwächen. Der Kampf gegen den IS wird demzufolge zum Anlass genommen, um Syrien weiterhin zu destabilisieren.

Dieses Misstrauen ist nicht nur unter den iranischen Führern vorhanden, sondern es findet sich auch in der iranischen Bevölkerung wieder. Laut einer repräsentativen Umfrage, die vom 11. bis 17. Juli 2014  vom „Zentrum für Internationale Sicherheitspolitik an der US-Universität Maryland“ (CISSM) geführt wurde, wurde ermittelt, dass 46 Prozent der IranerInnen eine Kollaboration mit den Amerikanern, um den Irak beim Kampf gegen den IS zu helfen, ablehnen. Allerdings möchten 64 Prozent, dass ihre Regierung die irakische Regierung nichtsdestoweniger unterstützt, und die Mehrheit von 45 Prozent sieht die Schuld der jüngsten Irak-Krise bei den USA und ihren Verbündeten.

Jenseits dieses Misstrauens und der divergierenden strategischen Positionen der USA und Iran hinsichtlich Syriens, ist ein weiterer wesentlicher Grund Teherans, sich der Koalition nicht anzuschließen, der starke Unabhängigkeitswillen der dortigen geistlichen und politischen Führung. Ein militärisches Engagement unter dem Oberkommando der Amerikaner schließt dieser Wille aus. Daher engagiert Teheran eigenständig und in Koordination mit seinen irakischen und kurdischen Verbündeten den Kampf gegen den IS. In der Tat soll der militärische Beitrag Teherans entscheidend gewesen sein, dass die Autonome Region Kurdistan nicht in die Händen des IS gefallen ist. Der Präsident der Autonomieregion, Masud Barzani, sagte in einer Pressekonferenz am 26. August in Erbil: „Wir haben um Waffen gebeten, und Iran war das erste Land, das uns mit Waffen und Munition ausstattete.“ Zuvor schrieb Barzani einen Brief an den iranischen Präsidenten Hassan Rouhani, in dem er Iran für „die Unterstützung der irakischen Kurden unter den gegenwärtigen harten Bedingungen“ rühmt.

Anders als Amerikaner und Deutsche, waren die Iraner im Irak sofort militärisch zur Stelle und kritisierten teilweise sogar die zögerliche Haltung und Reaktion des Westens auf die neue Krise im Irak. Neben Waffen und Munitionen schickte Teheran ihren berüchtigten General Qasem Soleiman, Kommandeur der al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde (IRGC), nach Irak.

Die Quds-Einheit unterstützt und bildet hauptsächlich der Islamischen Republik Iran gegenüber loyale Gruppen aus. Die Mitglieder der Quds-Einheit fungieren selbst nicht als Militäreinheit außerhalb der iranischen Grenzen, sondern sollen dabei helfen, dass heimische Einheiten vor Ort funktionieren. Das heißt man will mit indigenen Partnern vor Ort kooperieren und unkonventionelle Kriegsführung praktizieren. Beispiel dafür ist die Nordallianz in Afghanistan, die Hisbollah im Libanon, die Hamas und der Islamische Jihad in Gaza oder - wie in jüngster Zeit - diverse christliche, kurdische und schiitische Milizen in Syrien und im Irak. So waren es hauptsächlich die letztgenannten schiitischen Milizen im Irak, die die mehrheitlich schiitisch-turkmenische, 26.000 Einwohner zählende Stadt Amerli von der zwei Monate langen strikten Belagerung des IS befreit haben. Bei der Befreiungsaktion soll General Soleiman sogar persönlich mitgewirkt und damit die einheimischen Truppen vor Ort erheblich moralisch gestärkt haben. Berichten von BBC und der Los Angeles Times zufolge ist nicht der militärische Beitrag der USA und ihrer Verbündeten maßgeblich für den kurdischen und irakischen Widerstand, sondern die militärische Hilfe der Islamischen Republik Iran.

Damit punktet Teheran zweifach. Einerseits möchte es im Hintergrund bleiben und schaukelt sich nicht medial hoch, um nicht die Aufmerksamkeit des IS als wichtiges Angriffs- und Terrorziel auf sich zu lenken. Andererseits stärkt es dadurch seinen Einfluss auf die irakische und kurdische Regierung. Tatsächlich spielten der schiitische Klerus und Iran bei der Regierungstransition des ehemaligen Premierministers Nuri al-Maliki zum neuen Premierminister Haider al-Abadi die ausschlaggebende Rolle. Nur einen Tag, nachdem Ayatollah Khamenei erstmals öffentlich erklärte, dass die Probleme im Irak mit der Wahl eines neuen Premierministers gelöst werden würden, trat Nuri al-Maliki überraschend zurück, nachdem er zuvor vehement darauf bestanden hatte, weiterhin  Premierminister bleiben zu wollen. Mit der neuen Regierung ist auch der iranische Einfluss in Bagdad stärker geworden, zumal das neue Kabinett mehr wesentliche pro-iranische Minister als das vorige enthält, allen voran den neuen Außenminister Ibrahim al-Jaafari.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Islamische Republik weiterhin auf die islamistische Karte setzt und daher öffentliche Kollaborationen mit Washington vermeidet, um zum einen ihr Prestige bei ihrer islamistischen Klientel und ihren Sympathisanten nicht zu gefährden und zum anderen kein Wasser auf die gebetsmühlartige salafistische Propaganda von einer zionistisch-schiitisch-amerikanischen Verschwörung zu gießen. Die Heraufbeschwörung eines konfessionellen Krieges zwischen Schiiten und Sunniten bzw. Salafisten ist keineswegs im Interesse Irans.

Diese Strategie der verdeckten substantiellen Unterstützung ihrer Verbündeten, sei sie militärisch oder politisch, hat sich für die Islamische Republik Iran in den letzten Jahrzehnten außerordentlich bezahlt gemacht. Dadurch konnte sie beispielsweise nach dem 11. September durch die finanzielle und militärische Unterstützung ihrer Verbündeten, die Nordallianz, und durch die stillschweigende militärische Koordinierung mit den Amerikanern im Hintergrund ihre Widersacher, die Taliban in Afghanistan, von der Regierung verdrängen – ohne dass dabei Teheran in einen Abnutzungskrieg geriet oder iranisches Leben opfern musste. Ganz im Gegenteil: Die USA gerieten in einen jahrelangen, blutigen und kräftezehrenden Konflikt mit zahlreichen Verlusten, der bis heute andauert. Iran aber hat von der neuen Situation in Afghanistan profitiert. Denn es wurden nicht nur die Taliban weitestgehend ausgeschaltet, sondern an ihrer Stelle wurde eine iranfreundliche Regierung in Kabul installiert. Damals war Teheran federführend bei der Bildung der neuen afghanischen Regierung beteiligt. Hamid Karzai wurde während der Verhandlungen der Bonner Afghanistan-Konferenz nicht etwa von den Amerikanern für den Posten des Präsidenten vorgeschlagen, wie es im Westen fälschlicherweise oft angenommen wird, sondern von den Iranern. Das erklärt auch die für viele westliche Beobachter überraschend kritische Haltung Karzais zu den USA. Diese afghanische Episode mag sich nun auf irakischem Boden wiederholen.


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Unbekannt07-11-14

Es gibt viele Parallelen zwischen dem, was sich nun international in Bezug auf die Krise im Irak abspielt, mit dem, was sich in Bezug auf die Taliban in Afghanistan nach dem 11. September vollzog.

Bereits einige Jahre bevor die Weltöffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit in Richtung der Taliban richtete, warnte Iran vor den Gefahren der Taliban nicht nur für die Region, sondern für die ganze Welt. In Bezug auf IS warnten ebenfalls Iran und seine Verbündeten in Damaskus und die Hisbollah vor der regionalen Agenda der IS, Jahre bevor der IS die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zog.

Weitere Parallelen sind, dass - in Bezug auf die Taliban - die militante Gruppe vor dem 11. September von den US-Verbündeten Pakistan, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien unterstützt wurde. Hinsichtlich des IS vor dem Einmarsch in Mosul sind die Unterstützer dieser militanten Gruppe ebenso in den Reihen der US-Verbündeten zu suchen.

Damals schon bekriegte die Islamische Republik Iran die Taliban durch die Nordallianz – schon vor und nach der Bildung einer internationalen Koalition. Heute bekriegt sie ebenfalls den IS durch verschiedene christliche, schiitische und kurdische Milizen sowie den Regierungen in Syrien und im Irak – schon vor und nach der Bildung einer internationalen Koalition.

Le Mec07-11-14

Vielen Dank den spannenden Artikel. Würde mir einen Artikel speziell zu General Soleimani wünschen, dieser Mann ist einer der charismatischsten Menschen, von denen ich in letzter Zeit gelesen habe.

Engelhardt10-11-14

Der irakische Transportminister: "Wenn Iran nicht geholfen hätte, wäre IS in Bagdad."

http://www.foreignpolicy.com/articles/2014/11/06/breaking_badr_organization_iraq_shiite_miiitia_brutal_islamic_state_amiri_abadi

Engelhardt10-11-14

"Als die irakischen Kurden die Türkei um Hilfe baten, war alles, was sie zu hören bekamen: 'Wir würden euch gerne helfen, aber leider hält der IS 49 unserer Landsleute als Geiseln fest'", berichtet die außenpolitische Kolumnistin Asli Aydintasbas von der türkischen Tageszeitung Milliyet. "Dies ist eine strategische Allianz, die bereits ihren ersten Härtetest nicht bestanden hat; deshalb kann man es wohl kaum als strategische Allianz bezeichnen."

Die Führung in Teheran zögerte keinen Moment und ergriff die Chance, die sich dadurch bot: "Der Iran war zur Stelle und bot Hilfe an, worin auch immer diese bestehen solle", fährt Aydintasbas fort. "Sie schickten Bodentruppen. Und nicht nur das: Die Tatsache, dass sogar Qassem Suleimani, Befehlshaber der iranischen Eliteeinheit Al-Quds-Brigaden, vor Ort war und Seite an Seite mit den Kurden kämpfte, ist gar nicht überzubewerten...

http://de.qantara.de/inhalt/die-kurden-und-die-tuerkisch-iranischen-beziehungen-zwischen-allen-stuehlen

Marie-Luise12-11-14

Schon öfter stellte ich fest, dass Ajatollah Chamenei die USA-Regierung gut einschätzt. Ich habe kein Vertrauen in sie! Auf www.globalresearch.ca lese ich harsche Kritik. Die USA halten an ihrer Geostrategie fest mit den Verbündeten, die Sh. Arkian beschreibt, und dazu gehört nicht der Iran. Ein Titel auf obiger Website von James Petras: "US aid policy central to sustaining the jailhouse Regimes." Er nennt es sogar 'Gulag'. [...]*

*MODERATION: Bitte bleiben Sie beim Thema des Artikels und schweifen Sie nicht aus. Vielen Dank.

@Unbekant08-01-15

Es gibt auch Parallelen zur Befreiung Bosniens:

"It’s very similar to what happened in Bosnia," the official source told Al-Monitor, "Iran supported the Muslims against Yugoslavia’s Slobodan Milosevic, while the United States showed verbal support. It’s the same in Iraq. We are the ones fighting on the ground and that’s why the Iraqi forces, with the help of the volunteers and the peshmerga, were able to recapture several towns, while the airstrikes by the United States and its allies materialized nothing on the ground."

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2014/11/iran-iraq-shiites-isis.html#ixzz3OGl56ow7





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