25.09.2014 Ali Hashem

Iran unterstützt militärisch die irakischen Kurden, aber Bagdad hat Priorität


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Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif in Erbil bei Masud Barzani, dem Präsident der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak.

Nie waren die Kurden der Erfüllung ihres Traumes näher als im Juli, als der „Islamische Staat im Irak und in Großsyrien“ (jetzt: „Islamischer“ Staat oder IS) in die irakische Stadt Mosul eindrang. Die Verwundbarkeit des irakischen Staates hatte ihren Höhepunkt erreicht und die Kurden sicherten sich mit schnellen Schachzügen die Kontrolle über beanspruchte Gebiete im Raum Kirkuk. Der Führer der irakischen Kurden, Massoud Barzani, rief zu einem Unabhängigkeitsreferendum auf, und die lang ersehnte Republik Kurdistan schien der Verwirklichung näher denn je zu rücken.

Aber die nachfolgenden Ereignisse, insbesondere der gescheiterte Versuch des IS, Erbil zu übernehmen, rüttelten die Anführer der Kurden wieder wach - ohne Iran und die Vereinigten Staaten hätte die halb-autonome Region zu einem besetzten Gebiet werden können. Die Vereinigten Staaten gaben Deckung von der Luft und griffen IS Posten an, während Iran die irakisch-kurdischen Streitkräfte mit Waffen und Munition versorgte. „Wir haben um Waffen gebeten, und Iran war das erste Land, das uns mit Waffen und Munition ausstattete“, sagte Barzani auf einer gemeinsamen Pressenkonferenz mit dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif am 26. August in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak.

Zarifs Besuch zielte darauf ab, die Beziehung mit Erbil zu stärken, sagte ein offizieller Vertreter Irans in einem Telefon-Interview mit Al-Monitor. Er führte aus: „In diesen Tagen besteht eine dringende Notwendigkeit für Zusammenarbeit in der Region. Es mag viele Differenzen in Bezug auf 'X' oder 'Y' geben, aber das sollte nicht unseren Kampf gegen Extremismus und Terrorismus beeinträchtigen - dies ist ein existenzieller Kampf.“ Dieser Vertreter, der anonym bleiben wollte, führte außerdem aus, Kurdistan sei ein Hauptbestandteil der Vielfältigkeit des Irak, und Iran glaube, dass die Kurden eine große Rolle bei der Stabilität ihres Landes spielen können. Und er fügte noch hinzu: „Der ‚Islamische Staat’ möchte die Region spalten, und der beste Weg, dem entgegenzutreten, ist näher zusammenzurücken.“

Ist Iran auf strategischen Beziehungen mit dem irakischen Kurdistan aus? Danach fragte ich einen weiteren Vertreter, der klar feststellte, Iran vergesse nicht, dass Kurdistan ein Teil des Iraks ist und dass daher „die Beziehungen mit dem Irak immer die Priorität genießen werden, wohingegen die Beziehungen mit Irakisch-Kurdistan strategisch sind, sich aber nicht mit denen zu Bagdad vergleichen lassen.“ Aber es gibt weitere Faktoren, die wenig öffentliche Aufmerksamkeit genießen. Mit seinem schnellen Zugehen auf Erbil zielt Iran darauf ab, eine starke Verbindung mit den Kurden, die dies dringend brauchen und anfällig für jede Annäherung von außen sind, einzugehen. Ein irakischer Diplomat sagte Al-Monitor: „Teheran weiß sehr genau, dass Kurdistan gute Beziehungen mit Israel, den Vereinigten Staaten und der Türkei pflegt und mindestens zwei von diesen stellen eine strategische Bedrohung für Iran dar.“ Er sagte weiter: „Die Führer Kurdistans sprechen von Unabhängigkeit, und darüber ist Iran besorgt. Es ist ernsthaft besorgt, weil dies Auswirkungen auf die kurdische Region in Iran haben könnte; deshalb wollen sie sichergehen, dass alles unter Kontrolle bleibt."
 
Seit der Invasion Mosuls durch den IS hat das Verhalten offizieller kurdischer und iranischer Vertreter Hinweise dafür geliefert, in welche Richtung sich diese Beziehung entwickelt. Der Premierminister Irakisch-Kurdistans, Nechirvan Barzani besuchte Teheran und traf sich mit dem Staatssekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Ali Shamkhani, in der Absicht, sich einen Überblick über Irans heutige Irak-Politik zu verschaffen. Am 11. August richteten die iranischen Medien ihre Aufmerksamkeit auf einen Brief Barzanis an den iranischen Präsidenten Hassan Rohani, in dem er Iran für „die Unterstützung der irakischen Kurden unter den gegenwärtigen harten Bedingungen“ rühmt. Barzani dankt der Islamischen Republik dafür, dass sie sich angesichts der momentanen Krise hinter die irakischen Kurden stellt und fügt hinzu: „Die freundschaftliche Beziehungen und gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Teheran und Erbil wird definitiv die friedliche Koexistenz zwischen den benachbarten iranischen und kurdischen Volk konsolidieren."

Da die westlichen Grenzen Irans unter der direkten Bedrohung durch IS-Kämpfer stehen, hofft das Land,  seine Nachbarn darin zu unterstützen, Fähigkeiten aufzubauen, um die extremistische Gruppe auf ihrem Weg zu den iranischen Grenzposten aufhalten zu können. Das könnte Iran davor bewahren, sich in einen Zermürbungskrieg hineinzubegeben; ein Kampf mit dem IS lässt sich nicht mit irgendeinem der anderen Kriege vergleichen, die Iran innerhalb seiner eigenen Grenzen führte. Des Weiteren existiert noch eine weitere Bedrohung, vor der sich Iran möglicherweise ebenfalls schützen möchte, nämlich die kurdischen Salafisten innerhalb Irans.

Laut Medienberichten geht die Präsenz der Salafisten in Kurdistan zurück bis ins Jahr 2003, auf die Invasion des Irak durch die USA und ihr Durchgreifen gegen Ansar Al-Islam. Jetzt, ein Jahrzehnt danach, sind diese Gruppen in einigen iranischen Städten sehr aktiv und konnten bis zum Jahr 2012 Kämpfer für den Irak und Syrien rekrutieren. In einem Bericht der Peyamner Nachrichtenagentur vom April 2012* warnten Aktivisten und Politiker aus dem iranischen Kurdistan vor der Bedrohung, die diese Gruppen für die Gesellschaft dort darstellen. Der Direktor der politischen Kommission der Demokratischen Partei Kurdistans in Iran (KDPI), Kawa Bahrami, sagte damals, die Islamisten veranstalteten Rekrutierungs- und Trainingskurse für junge Leute, die sich ihrem Kampf anschließen wollen. Er fügte weiter hinzu: „Sie bildeten Rekruten militärisch auf speziellen Stützpunkten aus. Im letzten Jahr betrieben sie in der Nähe von Jwanro ein Trainingscamp, in dem sie jungen Kurden ganz offen lehrten, wie man Selbstmordanschläge und andere Terrorangriffe durchführt.“

Mit dieser Bedrohung muss Iran allerdings allein fertig werden, da die Beziehungen zwischen Irakisch-Kurdistan und den iranischen Kurden nicht besonders gut sind. Nichtsdestotrotz kann Kurdistan dahingehend helfen, dass es die Grenze sichert und den Waffenschmuggel und das Passieren von militanten Kämpfern unterbindet.

*Tatsächlich ist der Bericht von April 2004 und stehen in einem anderen Kontext, daher müssen die fast gesamten letzten drei Abschnitte des Artikels, worauf der Autor sich auf diesen Bericht stützt, revidiert werden, Anm. d. Redaktion.


Erstmals veröffentlicht am 31. August 2014 bei Al-Monitor. Übersetzt von Ulrike Hintze.


Observer25-09-14

Sehr aufschlussreicher BBC-Reportage über das iranische Engagement im Nordirak. Nicht wegen der USA, sondern wegen dem Iran konnten die Kurden die Angriffe der IS abwehren: http://www.liveleak.com/view?i=ee8_1411542731

Alaa26-09-14

Ich hoffe, dass es Iran nachher nicht bereut, die Kurden im Irak zu unterstützen. Durch die Kurden konnte ISIS die Stadt Mossul im Nordirak erobern und sich weiter im Nordirak zu verbreiten.

@Alaa26-09-14

Könnte sie eigentlich nicht, weil die schiitischen Milizen und die irakische Armee besser bewaffnet werden. ;)

Ludwig27-09-14

Zuerst bin die ganze Zeit davon ausgegangen, dass in Kürze Kurdistan entstehen würde, aber unter diesen Umständen in einer so fragilen Region wäre die Lebenserwartung Kurdistans sicherlich sehr kurz, wenn Gruppen wie IS die Region unsicher machen.

Hermann27-09-14

Den Kurden kann man einen eigenen Staat nur gönnen. Auch sie haben das Recht auf Selbstbestimmung. Aber es sollte im Rahmen des internationalen Rechts geschehen, und nicht auf diese Art und Weise.

Gysi27-09-14

@ Hermann, ich bin da nicht ganz sicher. Meines Wissens geht die territoriale Integrität vor dem Selbstbestimmungsrecht





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