23.08.2014 Trita Parsi

Geopolitische Lage im Nahen Osten erfordert einen Schwenk in Richtung Iran


Iran Präsident Hassan Rohani Ansprache Rede Vortrag Mausoleum Ayatollah Rouhollah Khomeini

Irans Präsident Hassan Rohani bei einer Ansprache im Mausoleum von Ayatollah Ruhollah Khomeini.

Washington mag es wohl nicht zugeben, aber Iran ist momentan das stabilste Land im Nahen Osten.

Am Silvesterabend 1977 brachte Präsident Jimmy Carter im Saadabad-Palast seinen berühmten Toast auf den Schah aus und erklärte: „Iran... ist eine Insel der Stabilität in einer der am meisten von Wirren erschütterten Gebiete der Welt“. Weniger als zwei Jahre später stürzte Iran ins Chaos, als die Revolution über das Land fegte und die 2.500 Jahre alte Monarchie zu Fall brachte.

Carter wurde für seinen Mangel an Voraussicht verspottet, aber er lag nicht falsch. Er war seiner Zeit lediglich ein paar Jahrzehnte voraus.

Irak zerfällt. Syrien steht in Flammen. Pakistan steht am Rande, ein gescheiterter Staat zu werden. Die Taliban erleben in Afghanistan eine Wiederauferstehung. Libyen zerfällt. Das Königshaus Saud ist angesichts einer potentiellen existenziellen Krise um einen Nachfolger nervös. In dieser Region erscheint Iran wie eine Insel der Stabilität.

Inzwischen wurde die geopolitische Feindschaft, die die Beziehung zwischen den USA und Iran für mehr als drei Jahrzehnte geprägt hat, von den Ereignissen im Irak und anderswo überholt. Die Vereinigten Staaten streben an, ihre Präsenz im Nahen Osten zu reduzieren und stattdessen ihre geopolitische Energie auf Ostasien zu konzentrieren. Und Washingtons traditionelle Verbündete finanzieren sunnitische Dschihadisten und sind anti-schiitisch. In diesem Kontext kann die Rivalität zwischen den USA und Iran nicht auf sich belassen werden.

Am Montag keimten Nachrichten  auf, dass Washington und Teheran militärisch kooperieren könnten, um den "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien" (ISIS) davon abzuhalten, tiefer in den Irak einzudringen – es handelt sich also um Irans Nachbar, in dem die Vereinigten Staaten jahrelang Milliarden von US-Dollar und Tausende von Menschenleben aufgebracht haben. Iraks schiitische Regierung wird von einigen als ein Stellvertreter Irans betrachtet, der oft gegen Washington und für Teheran Partei ergriffen hat. Aber das gemeinsame Interesse zwischen Iran und den Vereinigten Staaten ist nicht nur taktischer oder temporärer Natur: Mit der Aufwühlung in der Region, wie es grade der Fall ist, ist die Realität, dass sich die USA und Iran auf der gleichen Seite wiederfinden könnten, schlichtweg die neue Normalität.

Während Washington mit der Idee einer persischen Schlüsselfigur kämpfen darf, erscheint es nicht möglich, Teheran von der Idee abbringen zu können, dass es seine regionale Position durch die Besetzung einer antagonistischen Rolle gegenüber den USA stärken kann. Iranische Offizielle haben mir gesagt, dass selbst wenn die Nuklearfrage gelöst sein sollte, die Beziehung zwischen den USA und Iran weiterhin von Rivalität – und nicht von Partnerschaft - gekennzeichnet sein wird. Aber als radikale sunnitische Kämpfe der ISIS über die syrische Grenze nach Irak strömten und innerhalb von Tagen mehrere große Städte einnahmen, wurde die neue Realität erstaunlich klar: Iran und die Vereinigten Staaten brauchen sich mehr als je zuvor. Keiner der beiden kann die Stabilität im Irak oder in Afghanistans ohne den anderen retten.

Seit Jahrzehnten hat Iran versucht, die US-Hegemonie im Nahen Osten durch das Investieren in arabischen politischen Oppositionsgruppen und das Unterstützen und Finanzieren von islamistischen Bewegungen, wie die Hisbollah und die Hamas, herauszufordern. Aber in der sunnitisch-arabischen Welt hat dies Teheran so gut wie nichts gebracht. Irans Politik seit der Revolution 1979 gegenüber der arabischen Welt basierte auf der genauen Prognose, dass die Herrschaft der pro-amerikanischen Autokraten nicht von Dauer sein wird und dass die langfristige Sicherheit Teherans durch die Investition in islamistische Bewegungen, die voraussichtlich die Macht übernehmen würden, am besten gewährleistet wäre. Die iranische Prägung des politischen Islams - gepaart mit anti-israelischer Rhetorik - könnte eine einigende Kraft zur Überbrückung der tiefen Gegnerschaft, die die arabisch-persische und sunnitisch-schiitische Trennlinie kennzeichnete, sein, so schlussfolgerte Teheran. Oder so dachte man zumindest.

Stattdessen haben die Islamisten, die nach dem arabischen Frühling - in Syrien, Ägypten und Libyen - an Einfluss gewonnen haben, größtenteils Treue gegenüber ihren finanziellen Wohltätern in Saudi-Arabien und den Golfscheichtümern gezeigt und nicht gegenüber ihren vermeintlich ideologischen Verbündeten in Teheran. Unterdessen hat die iranische Unterstützung für das Assad-Regime in Syrien die umfangreiche Soft-Power, die Teheran in der arabischen Welt genoss, aufgelöst. In diesen Tagen gesetehen iranische Offizielle jenseits der Öffentlichkeit ein, dass ihre Regierung in Lateinamerika beliebter ist als im Nahen Osten.

Die Regierung in Teheran könnte in der gegenwärtigen Regierung in Washington einen besseren Partner finden, als sie vielleicht erwarten würde. Trotz all der Abneigung Amerikas gegen Irans Prägung eines repressiven schiitischen Nationalismus weiß Präsident Barack Obama eindeutig, dass die Bedrohung nicht der Islam ist, der von seinem ernannten Feind Iran ausgeht, sondern der gesponserte, finanzierte und geförderte des formalen Verbündeten Saudi-Arabien. Dies gilt umso mehr, wenn es den Vereinigten Staaten und Iran gelingt, die Atomfrage in den nächsten Wochen oder Monaten zu lösen.

Obama wurde Anfang des Jahres von Bloombergs Jeffrey Goldberg über die Gefahren des sunnitischen und schiitischen Extremismus befragt. Die Iraner, so sagte Obama, „denken strategisch und nicht unbesonnen. Sie haben ein Weltbild, und sie sehen ihre Interessen, und sie reagieren auf Kosten und Nutzen... Sie sind ein großes, mächtiges Land, das sich als wichtigen Akteur auf der Weltbühne betrachtet, und ich denke nicht, dass sie einen Wunsch nach Selbstmord hegen, und sie können auf Anreize reagieren“. Und zum sunnitischen Extremismus? Obamas Schweigen spricht hier Bände. Der Anstieg der Aktivität radikaler dschihaditischer Gruppen unterstreicht wahrscheinlich nur ihre Gefahr - und den Unterschied zwischen ihnen und der Regierung Irans.

Iran ist verständlicherweise zögerlich in Bezug auf die Annäherung an die Vereinigten Staaten. Irans Führung hat sich bei vergangenen Bemühungen, die Gebiete der strategischen und taktischen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu erkunden, die Finger verbrannt. Teheran versorgte 2001 das US-amerikanische Militär mit umfangreichen militärischen, geheimdienstlichen und politischer Unterstützung beim Feldzug zum Sturz der Taliban. Die Hilfe Irans war laut Präsident George W. Bushs Sondergesandten für Afghanistan, Botschafter Jim Dobbins, entscheidend. Sobald jedoch die Hilfe Irans nicht länger als notwendig betrachtet wurde, schloss Bush Teheran in die berüchtigte „Achse des Bösen“-Rede mit ein. Washington war an keiner neuen Beziehung mit den Iranern interessiert.

Washington hat seitdem für diesen Fehler bezahlt. Sowohl das Chaos in Afghanistan, als auch das in Irak hätten vermieden werden können, wenn Washington die stabilisierende Rolle Irans erkannt hätte, die sie haben könnten, wenn man sie denn nicht wie Ausgestoßene behandeln würde.  Im Jahre 2003 bot Iran Hilfe zur Stabilisierung Iraks an und die Gewährleistung, dass die Regierung dort nicht konfessionell sein würde. Die Bush-Regierung entschied sich, auf das Angebot nicht zu reagieren.

Aber auch Iran wird einen Preis zahlen, wenn es sich an ein veraltetes Verständnis der regionalen und globalen strategischen Landschaft klammert. Widersprüchliche Nachrichten kommen aus Teheran, da sind z.B.  Offizielle, welche sich gegenüber Reuters dahingehend äußern, dass man bereit sei, mit den USA gegen ISIS zu kooperieren, und gleichzeitig gibt es eine Sprecherin des Außenministeriums, die vehement die militärische Intervention der Vereinigten Staaten ablehnt. Ebenso scheint die Position der USA sich zu verlagern, von einer anfänglichen Dementierung jeglicher Pläne für Gespräche mit Iran über Irak hin zu dem Wunsch, sich mit Teheran zusammenzusetzen.

Irans Hauptziel ist es, als stabilisierende Macht anerkannt zu werden. Aber dies ist eine Rolle, die es letztendlich nicht spielen kann, wenn es gleichzeitig wünscht, die USA herauszufordern. Anders als in Afghanistan, wird eine Zusammenarbeit im Irak in der Öffentlichkeit wahrscheinlich mehr durchdringen. Falls Iran eine konstruktive Rolle spielt, wird die Welt das zur Kenntnis nehmen. Aber die Änderung alter Muster erfordert Mut, Stärke und politischen Willen. Es bleibt abzuwarten, ob die Führung in Teheran dies erbringen kann - oder ob Washington empfänglich sein wird.

Was auch immer die beiden Seiten tun, sie sollten überholte Rivalitäten nicht im Weg stehen lassen. Im Gegenteil zeigt der Ansturm der ISIS, dass ein Gespräch zwischen den USA und Iran über regionale Angelegenheiten längst überfällig ist.


Erstmals veröffentlicht am 16. Juni 2014 bei Foreign Policy. Übersetzt von Bahram Sojudi.


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Marie-Luise29-08-14

Ich wünsche dem Iranischen Volk und seiner Regierung ehrlichen Erfolg in der Diplomatie mit den USA! Aber ich bin sehr misstrauisch, was die Wahrheit betrifft! Überall, wo die Angloamerikaner ihre Dogmatisch/Religiöse "Demokratie" (Menschenrechte) Länder bezwungen haben, ist nur Chaos entstanden, aufgebaut auf Lügen. Es ging und geht nur um wirtschaftliche Interessen. An Menschenrechte haben sie sich dann nicht mehr gehalten. England hat sein 'Empire' verloren, hat ein hohes Außenhandelsdefizit, ebenso die USA. Der Finanzplatz Nr.1, London, macht nicht die Bevölkerung satt. In beiden Ländern wird enorm viel ins Militär gesteckt.- Ich lese z.Zt. ein wunderbar aufklärerisches Buch von Peter Haisenko, Titel: England, die Deutschen, die Juden und das 20.Jahrhundert. Ein freies Wort zu einer Zeit mit Nachwirkungen. Anderwelt Verlag, auch bei Weltbildverlag zu finden. 2 Zitate daraus, die erschreckend, und mit der Ukraine-Krise ganz aktuell sind; 1)"Churchill 1945: In Kriegzeiten ist die Wahrheit so wertvoll, dass sie immer von einer Lüge als Leibwächter begleitet werden sollte."
2) "Sunday Correspondent, 16.9.1989 : Wir sind 1939 nicht in den Krieg eingetreten, um Deutschland vor Hitler oder die Juden vor Auschwitz zu retten. Wie 1914 sind wir für den nicht weniger edlen Grund in den Krieg eingetreten, dass wir die deutsche Vormachtstellung in Europa nicht akzeptieren können." Der 2.WK hatte stattgefunden. - Die USA heute will die Welt beherrschen, kann fleißig Dollar drucken für sein teures Militär, das es braucht und benutzt, um andere Länder, z.Zt. Russland wirtschaftlich klein zu halten. Verbrechen bleiben geheim, und Verbrecher sind willkommen, wenn es nutzt. Moralisch gibt man sich nur dem Volk gegenüber, um zum Ziel zu kommen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen nur andere, die geahndet werden müssen, die eigenen nicht. - Also ich empfehle sehr oben genanntes Buch (24,90 Euro).-
Grüße von Marie-Luise.

Islamwissenschaftler04-09-14

Dem Artikel von Trita Parsi stimme ich voll und ganz zu!

Ein Christ04-09-14

Das politische Schiitentum ist mir auch viel sympathischer, rationaler und berechenbarer als das politische Sunnitentum.





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