12.08.2014 Seyed Hossein Mousavian und Shahir Shahidsaless

Wie Iran den Afghanistan-Deal mit den USA einfädelte


Bonn Konferenz 2001 Afghanistan

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Iran und die Vereinigten Staaten - Die gescheiterte Vergangenheit und der Weg zum Frieden“ von Seyed Hossein Mousavian und Shahir Shahidsaless.

Qasem Soleimani: „Wir würden gewinnen, wenn die Amerikaner uns in die Quere kommen.“

Die tragischen Ereignisse vom 11. September 2001 hätten ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Iran und den USA aufgeschlagen können. Iran gehörte zu den ersten Ländern, die die Terrorattacken auf die Twin Towers verurteilten. Unmittelbar nach dieser Verurteilung begann der Oberste Nationale Sicherheitsrat (SNSC) Irans aktiv im Rahmen des neuen Paradigmas zu arbeiten, das der 11. September geschaffen und das die US-Erklärung des „Kriegs gegen den Terror“ zur Folge hatte. Auch wir waren im Hinblick auf die extremistischen Salafisten und die Taliban, deren Ideologie auch wir als hochgradig feindselig gegenüber dem schiitischen Iran und gefährlich für die ganze Region betrachteten, besorgt.

Bevor George W. Bush die Präsidentschaft übernahm, hatte es bereits seit 1998 eine Verhandlungsrunde zwischen den USA und Iran gegeben, die allerdings nicht bilateral war. Der UN-Diplomat Lakhdar Brahimi hatte die Gespräche unter dem Banner „6+2“ initiiert. Darin waren die sechs Nachbarstaaten Afghanistans – China, Pakistan, Iran, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan – sowie Russland und die USA involviert. Sie hatten sich in New York getroffen, um die Situation in Afghanistan zu erörtern. Im Jahr 2001, noch vor den Attacken vom 11. September, aber vor allem nach diesen tragischen Ereignissen, begannen substanzielle Verhandlungen zwischen der iranischen und der US-amerikanischen Regierung, um Wege für eine Zusammenarbeit in Afghanistan anzustreben.

Botschafter Ryan Crocker, der Farsi spricht und zuvor in Iran gelebt hatte, führte die US-Verhandlungsdelegation. Die Mannschaft Irans bestand aus den Botschaftern Reza Ziaran, Zargar Yaghoobi und Mohammad Ebrahim Taherian sowie einem hohen Mitglied des Sicherheitsapparats. Die Treffen hatten eine Reihe von Fragen zum Gegenstand, die vom Terrorismus bis zum Drogenhandel reichten, und gelegentlich wurde über die historisch angewachsenen Probleme zwischen den beiden Ländern gesprochen. Die Gespräche wurden Ayatollah Khamenei nicht verheimlicht, und dieser äußerte auch keine Vorbehalte im Hinblick auf diese, vorausgesetzt, sie blieben auf das Thema Afghanistan fokussiert und nicht auf die Beziehungen zwischen den USA und Iran.

In seiner Rede an dem Carnegie International Endowment beschreibt Crocker die Atmosphäre dieser Gespräche wie folgt: „Während der Gespräche vor den Angriffen – und wie Ihr wisst, begann der Luftkrieg Anfang Oktober – war der iranische Tenor derart, zu fragen, was wir denn wissen müssten, um ihr Abwehrsystem auszuschalten. Ihr wollt ihren Schlachtplan? Hier habt Ihr die Karte. Ihr wollt wissen, wo wir ihre Schwachpunkte vermuten? Hier, hier und hier. Ihr wollt wissen, wie wir ihre Reaktion auf einen Luftschlag einschätzen? Ihr wollt wissen, wie sich die Nordallianz verhalten würde? Fragt uns, wir kennen die Antworten. Wir haben jahrelang mit diesen Leuten gearbeitet. Das war eine beispiellose Phase seit der Revolution, in der es wieder zu einer bestimmten Frage einen amerikanisch-iranischen Dialog gegeben hatte, wo wir reichlich gemeinsame Interessen und Anliegen hatten.“

Während einer Konferenz im Herbst 2012 in Berlin erzählte mir James Dobbins, dass Hamid Karzai der von den USA favorisierte Kandidat für die Führung der neuen afghanischen Regierung wäre. „Auch die Iraner unterstützten uns“, betonte Dobbins.

Dobbins erwähnte auch die Rolle Javad Zarifs in Bezug auf den Erfolg der Bonner Konferenz zur Errichtung einer neuen afghanischen Regierung. Einem Bericht von Michael Hirsh zufolge soll Dobbins in einem Interview „hervorgehoben haben, dass Karzai ein Paschtune aus dem Süden ist, wie die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung“. Die Tadschiken von der Nordallianz hingegen, die von Yunus Qanuni geführt wurden und die die historischen Rivalen der Paschtunen sind, forderten vehement einen mehrheitlichen Anteil an der neuen Regierung, „da sie diejenigen waren, die Kabul eingenommen hatten, wie Dobbins berichtete“. Dobbins sagte weiter: „Um 4 Uhr morgens hatten sie einen sehr kritischen Punkt erreicht. Niemand war in der Lage, Qanunis Position zu ändern. Es war schließlich Zarif, der Qanooni von oben ins Ohr flüsterte: ‚Dies ist der beste Deal, den du bekommen kannst’. Und Qanooni sagte: ‚Ok’“.

Auch nach der Errichtung einer neuen afghanischen Regierung im Rahmen der Konferenz von Bonn, gingen die Gespräche weiter. Aber plötzlich schlug im wahrsten Sinne des Wortes eine Bombe ein. Während seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2002 stieß George W. Bush uns jäh vor den Kopf, indem er nur wenige Wochen nach der Bonner Konferenz Iran in die „Achse des Bösen“ einreihte. Zwar gingen die Gespräche danach noch weiter, die Bereitschaft Irans zur Kooperation war jedoch gehemmt. Jeder Beteiligte, von Khatami abwärts, fühlte dasselbe, nämlich betrogen worden zu sein! Von da an wurde der Begriff „namaknashnas“ oft benutzt, um das Verhalten von George W. Bush zu beschreiben – eine Bezeichnung für jemanden, der die Hand abschneidet, die ihn füttert.

Nach der Rede von Bush sagte Khatami zu mir: „Ich bin zuversichtlich, dass Bush den entscheidenden Nagel in den Sarg der amerikanisch-iranischen Beziehungen schlug. Er fügte hinzu: „Ich schätze, dass jeder Fortschritt in den Beziehungen nun ausgeschlossen werden kann, zumindest während meiner Präsidentschaft.“ Dies bedeutete nicht, dass wir unsere Bemühungen diesbezüglich beenden würden, aber die große Hoffnung nach dem Sturz der Taliban ist dem Pessimismus gewichen. Khatami ging davon aus, dass mindestens für die Dauer von zehn Jahren jeder Versuch einer fruchtbringenden Annäherung unmöglich sein würde. Ayatollah Khamenei hatte einige iranische Offizielle zu Beginn schon gewarnt, dass „die Einladung seitens der Amerikaner nur taktisch ist“.

Nach einem Treffen des Obersten Nationalen Sicherheitsrat Irans erzählte mir Qasem Soleimani, der Kommandant der Qods-Brigade, ohne seine verstimmten Gefühle gegenüber Bushs Antwort auf die unschätzbare Unterstützung Irans zu verhehlen, dass er bereits zu Beginn der Kooperation an ein taktisches Manöver der USA geglaubt habe und nicht daran, dass sie eine langfristige Zusammenarbeit gesucht hätten. Aber ich sah auch, dass die Hilfe seitens Irans darauf ausgelegt war, selbst nichts einzubüßen. Aber ich sehe die iranische Unterstützung auch nicht als eine verlorene Angelegenheit an. Falls die USA es ehrlich gemeint haben, so haben wir ihnen geholfen, unseren Erzfeind zu stürzen und al-Qaida zu bekämpfen, eine extremistische Gruppe, die unsere Sicherheit, die Region und die gesamte internationale Gemeinschaft bedroht. Danach hätte es eine breitere Zusammenarbeit geben können. Qasem antwortete scherzhaft, dass „in diesem Fall die Träume von Euch westfixierten Diplomaten wahr geworden wären“. Nichtsdestotrotz stimmte er zu, dass auch wenn die USA nicht ehrlich gewesen waren, so haben wir dennoch einen Feind von uns beseitigt.

Qasem postulierte, dass wenn die USA uns betrügen und sich von uns lossagen wollen, sobald sie sich in Afghanistan gefestigt hätten, wären sie in der Falle wie einst die Sowjets. Die Amerikaner sind mit der Komplexität in Afghanistan nicht vertraut. „Die Amerikaner kennen die Region nicht, sie kennen Afghanistan nicht, sie kennen Iran nicht“, fügte Qasem hinzu. In jedem Falle würden wir gewinnen, folgerte er, und falls die Amerikaner uns in die Quere kommen sollten, würden sie unweigerlich das Land mit einer Niederlage verlassen.
 

Seyed Hossein Mousavian war unter Ayatollah Rafsanjani iranischer Botschafter und Sprecher der iranischen Atomunterhändler unter Mohammad Khatami.

Erstmals veröffentlicht am 24. Juni 2014 bei Iran Review. Übersetzt von Ali Özkök.


Steffen12-08-14

Schöner Artikel, aber ein kleiner Schönheitsfehler:

"Laut James Dobbins, der US-Sondergesandter in Afghanistan, war es die iranische Delegation bei der Bonner Konferenz 2001, die Hamid Karzai für den Posten als afghanischen Präsidenten vorgeschlagen hat. Zudem stellt Dobbs fest, dass Teheran beim ersten Geberkonferenz für Afghanistan in Tokio 2002, 540 Million Dollar als Entwicklungshilfe versprach und damit der größte Spenderstaat war."

http://irananders.de/nachricht/detail/674.html

Thorsten12-08-14

Jeder, der sich mit den Beziehungen zwischen den USA und Iran auseinandersetzt, sollte diesen Auszug lesen. Insbesondere die Kehrtwende der USA während der wichtigen Hilfsbereitschaft Irans nach 9/11 sollte man im Hinterkopf behalten. Es wird ja immer wieder beklagt, wie Ayatollah Khamenei viel zu misstrauisch gegenüber den USA sei. Oft wurde auch gesagt, dass dieser gar nicht verhandlungsbereit sei, obwohl man sieht, dass er es derzeit bei den Atomverhandlungen trotz seiner Zweifel auf einen Versuch ankommen lässt. Wen wundert es aber, wenn Khamenei den Verdacht hat, dass die derzeitige Deeskalationsphase mit Iran wieder ein taktisches Manöver ist?

Arian26-08-14

Hallo, Herr Seyed Hossein Mousavian

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