09.07.2014 Sedigheh Hassani

Die Muslimbrüder: Chancen und Herausforderungen


Emblem Muslimbruderschaft Muslimbrüder Flagge

Emblem der Muslimbruderschaft.

Die Muslimbrüder sind zu einem wichtigen politischen Schwergewicht am Persischen Golf und in der arabischen Welt geworden, das die früheren Bündnis- und Koalitionskonstellationen stark in Frage gestellt hat. Die Entscheidung Saudi-Arabiens und seiner Verbündeter im März 2014, die Muslimbrüder als terroristische Organisationen einzustufen, wirft viele Fragen in Bezug auf deren Weitsicht und Ziele auf. Im Grunde genommen ist dieser Schritt eine Reaktion auf den zunehmenden Einfluss der Muslimbrüder als alternatives politisches und soziales System in den Ländern an den südlichen Küsten des Persischen Golfes - von Seiten der fragilen autoritären Systeme gegenüber den neuen revolutionären Wellen. Diese Tatsachen sind Vorzeichen einer neuen Ära in der arabischen Welt im Allgemeinen und am Persischen Golf im Besonderen. Die konservative saudische Königsfamilie scheint nicht in der Lage zu sein, sich von der Vergangenheit loszulösen.

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 in Ägypten gegründet und verbreitete sich schnell in Palästina, Syrien, im Irak, im Sudan und später in der gesamten islamischen Welt. Die Muslimbrüder in Ägypten erklärten 1939 die Gründung eines islamischen Staates und den Stopp jeglicher Einmischung von außen zu ihrem Ziel. Diese Bewegung unterstützte zunächst den damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, wurde jedoch im Jahre 1954 wegen des Versuchs, Nasser zu töten, verboten. Die Ära des arabischen Nationalismus und Sozialismus bis in die 70er Jahre hinein in Ägypten, Syrien und Irak begünstigte die Verfolgung der Muslimbrüder, so dass sie schließlich in die arabischen Länder am Persischen Golf, vor allem nach Saudi-Arabien, auswandern mussten. Der arabische Nationalismus und Sozialismus galten damals als eine Gefahr für die Emirat-Staaten in der Region des Persischen Golfes, und für die saudischen Herrscher waren die Muslimbrüder ein effektives religiöses und geistiges Instrument im Kampf gegen Sozialismus und Nationalismus.

Die Exil-Muslimbrüder besetzten nach kurzer Zeit die Schulen und Universitäten in der Region, so dass sie in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer dominierenden Größe an den Universitäten und in medialen und religiösen Entitäten in der Region des Persischen Golf wurden. Der Niedergang des arabischen Nationalismus und Sozialismus - und insbesondere der zweite Golfkrieg zwischen dem Irak und Kuwait - haben zum ersten Mal die Kluft zwischen den Muslimbrüdern und den Arabern am Persischen Golf zum Vorschein gebracht.

Die Funktionäre der Muslimbrüder in Tunesien, im Sudan, im Jemen und in der Türkei unterstützten Saddam Hussein während des Krieges am Persischen Golf, während Saudi-Arabien und seine Verbündeten mit den USA die gleiche Front bildeten. Doch dies war - zumindest öffentlich - kein Warnsignal in der Region des Persischen Golfes. Erst Nayif, der verstorbene saudische Kronprinz, hatte etwa zehn Jahre später die Muslimbrüder als „Quelle allen Übels“ bezeichnet und den Muslimbrüdern die Schuld an allen Problemen im Land gegeben.

Als die Muslimbrüder im Zuge des arabischen Frühlings bei den Wahlen in Ägypten und Tunesien siegten und sich als wichtige Akteure präsentierten, läuteten die Alarmglocken in Saudi-Arabien, und somit wurden die Muslimbrüder als eine Bedrohung für die Existenz der Herrscher der Region wahrgenommen. Zudem wurden die Methoden und die religiöse Ideologie der Muslimbrüder als eine Gefahr für die religiöse Legitimität des politischen Systems in Saudi-Arabien betrachtet, das auf der Einheit der saudischen Herrscherfamilie und des Wahhabismus basiert.

Die Muslimbruderschaft am Persischen Golf hat keine einheitlichen Beziehungen mit ihren Regierungen gehabt. In manchen Ländern am Persischen Golf war ihre Anwesenheit störend und in anderen haben sie im Allgemeinen mit dem Staatsapparat und den herrschenden Klassen zusammengearbeitet.

Darum muss für eine Beurteilung der Präsenz der Muslimbruderschaft in Mitgliedstaaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) Folgendes geprüft werden:

Vereinigte Arabische Emirate

Die Vereinigten Arabischen Emirate gehörten im Umgang mit der Muslimbruderschaft zu den fortschrittlichsten Staaten des Rates. Manche glaubten, dies habe an der Federführung Saudi-Arabiens gelegen. Andere sahen den Grund vielmehr in der tiefen einheimischen Verwurzelung der Al Islah, eine Partei der Muslimbrüder, in diesem Land.

Im März 2011 stellten 130 Mitglieder dieser Gruppe einen unterzeichneten Antrag, in dem sie landesweite Wahlen und die Einführung einer unabhängigen Gesetzgebung forderten. Ab dieser Zeit verhafteten die Verantwortlichen der Emirate die Unterzeichner des Schreibens und stellten sie vor Gericht.

Das hohe Wohlstandsniveau in den Vereinigten Arabischen Emiraten beschränkte die allgemeine Unterstützung für die Muslimbruderschaft, was dazu führte, dass die Unterstützer der Al Islah oft aus dem armen Norden der Emirate stammten. Als der Führungsschicht in Abu Dhabi diese Schwäche bekannt wurde, startete sie sofort ein 6,1 Milliarden Dollar teures Investitionsprojekt im Norden der Emirate. Obwohl die Unterstützer der Al Islah nur eine kleine Gruppe von gebildeten Aktivisten sind, wird erwartet, dass ihre hohe Mobilisierungskraft, ihr größeres politisches Wissen und ihre vermehrten Diskussionen über lokale Themen es ihnen am Ende leichter machen wird, ihre Ziele durchzusetzen. Man sagt, dass diese Gruppe der bestorganisierte nicht-staatliche Akteur sei, der seit mehreren Jahrzehnten existiert.

Bahrain

Die "Islamische Gesellschaft Al-Menbar" ist der politische Arm der lokalen Organisation der Muslimbruderschaft, der „Al Eslah Gesellschaft“, und sie gehört zu den politischen Gruppen, die in Bahrain aktiv sein dürfen, während andere politische Parteien illegal sind. Viele glauben, dass der Gerichtshof des Emirs von Bahrain und die islamischen Kreditinstitute dieses Landes diese Gruppe finanziell unterstützen.

In der Tat ist die Unterstützung für die "Islamische Gesellschaft Al-Menbar" durch die Regierung darauf zurückzuführen, dass die Führungsschicht die Schiiten bekämpfen will. Aber diese Partei hat sich im Februar 2013 geweigert, an den nationalen Gesprächen dieses Landes wegen der Missachtung der Rechte der Schiiten teilzunehmen, jedoch zugleich auch die Schiiten kritisiert. Obwohl diese Gruppe die Interessen der herrschenden Regierung unterstützt, ist sie gleichzeitig für die Führungsschicht gefährlich. Gefährlich wird es dann, wenn diese Gruppe sich in Bezug auf das Verhältnis von Schiiten und Sunniten oder in Bezug auf politische Reformen auf die Seite eines Herrschaftsspektrums gegen ein anderes stellt.

Katar

Die lokale Muslimbruderschaft hat sich im Jahre 2003 aufgelöst, hauptsächlich um Spannungen mit der herrschenden Regierung zu vermeiden. Man spekuliert, Yusuf al-Qaradawi, der geistige Führer der Muslimbrüder, habe die Auflösung koordiniert. Damals waren die anderen Staaten am Persischen Golf damit beschäftigt, Teile der Muslimbruderschaft heimlich zu verfolgen. Dieser Kompromiss sah mutmaßlich vor, dass Katar durch die populäre Fernsehstation Al-Jazeera zu einer medialen Propagandatribüne der Muslimbruderschaft im Nahen Osten wird. Im Zuge des arabischen Frühlings wurde Katar zum wichtigsten Finanzier der Muslimbrüder. Als Gegenleistung dürfen die Muslimbrüder sich nicht in die katarische Politik einmischen.

Kuwait

Die Muslimbrüderschaft in Kuwait ist durchorganisiert, hat reiche finanzielle Ressourcen und hat zu verschiedenen Zeiten für oder gegen die Führung gearbeitet. Der Reichtum dieser Gruppe hat sich vor allem nach dem Einmarsch Saddam Husseins im Jahre 1990 vermehrt, weil die lokalen Muslimbrüder den Widerstand gegen die irakische Besatzung und soziale Dienstleistungen organisierten. Kürzlich hat sich der politische Arm der Muslimbruderschaft mit dem Namen "Islamische Verfassungsbewegung" aus Protest gegen das Vorgehen der Regierung bei den Wahlen den anderen Oppositionsgruppen angeschlossen. Die frühere Zusammenarbeit mit Oppositionsgruppen sowie auch die Interessen, die daraus entstehen, dass konservative Elemente aus verschiedenen Stämmen der kuwaitischen Gesellschaft an die Macht gelangen, zeigen, dass diese Gruppe für das Machtmonopol der Herrscherfamilie zu einer Herausforderung werden kann. Kuwait hat die Entscheidung Saudi-Arabiens, die Muslimbruderschaft als Terroristen einzustufen, als innere Angelegenheit bezeichnet. Trotzdem hat ein Gericht dieses Landes kürzlich die Auflösung des Zweiges der Muslimbruderschaft, der für Wohltätigkeitszwecke zuständig ist, verkündet.

Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien basierte die Beziehung der Muslimbruderschaft zur Herrscherfamilie zu verschiedenen Zeiten auf Zusammenarbeit und manchmal auch auf Feindschaft. Die Muslimbruderschaft in Saudi-Arabien hat die Politik des Herrschers selten öffentlich kritisiert. Anders verhielt es sich seit 1990, als Persönlichkeiten aus der Muslimbruderschaft gegen die Stationierung amerikanischer Truppen auf saudischem Boden zur Befreiung Kuwaits protestierten. Sie unterstützten auch Proteste und Forderungen nach Reformen. Im Zuge des arabischen Frühlings wird die Muslimbruderschaft genau beobachtet und jede ihrer Bewegungen wird von der saudischen Herrscherfamilie kontrolliert.

Oman

In Oman ist der Einfluss der Muslimbruderschaft beschränkt. Im Gegensatz zu den meisten Staaten am Persischen Golf sind nur 20% der Bevölkerung Sunniten. Trotzdem ist die Muslimbruderschaft in diesem Land im Geheimen aktiv, und diese Aktivität wird vom Staat bekämpft. Im Jahre 1994 verhafteten omanische Verantwortliche Hunderte Personen, die mit der Muslimbruderschaft in Verbindung standen, wegen des Vorwurfs, sie hätten versucht, die Regierung zu stürzen. Außerdem wurden auch der frühere Botschafter Omans in den USA, ein ehemaliger Kommandeur der Luftwaffe, und zwei stellvertretende Minister vor Gericht gestellt. Das zeigt, dass hochrangige Persönlichkeiten der Muslimbruderschaft hohe Posten erhalten konnten. Die Muslimbruderschaft in Oman allein kann keine Gefahr für die herrschende Klasse und das herrschende System sein. Sie kann jedoch in Zusammenarbeit mit anderen Oppositionsgruppen vor allem bei der Bestimmung des Nachfolgers von Sultan Qaboos einflussreich sein.

Fazit:

  • Die ständige Denk- und Handlungsweise der Muslimbruderschaft gegen Israel und das Streben nach Unabhängigkeit der arabischen und islamischen Welt machen die Muslimbruderschaft zu Gegnern der USA und des Westens.
  • Die verschiedenen Positionen Katars und Saudi-Arabiens bei der Unterstützung verschiedener syrischer Oppositionsgruppen sind ein Zeichen dafür, dass sie in Syrien unterschiedliche Ziele verfolgen, aber dass beide Bashar al-Assad stürzen wollen, was wiederum ein Zeichen dafür ist, dass sich beide gegen die Herrschaft Irans über die Region verbündet haben. Wegen dem Kampf Saudi-Arabiens gegen die Muslimbrüder und ihren Unterstützern wird erwartet, dass Katar sich kurzfristig mehr Iran annähert und dadurch weniger Konflikte mit Assad in Syrien haben wird.
  • Dass Saudi-Arabien die Muslimbruderschaft bekämpft, ist nicht nur leeres Gerede. Dieser Kampf ist aus der Sicht der saudischen Verantwortlichen so dringend und so wichtig, dass sie Muslimbrüder nicht einmal in den Reihen der bewaffneten Opposition gegen Bashar Assad dulden.
  • Wenn die Mitgliedstaaten des Golf-Kooperationsrates (GCC) sich gegen die Muslimbruderschaft verbünden können, so können sie deren Popularität und ihre eigene Verletzlichkeit gegenüber dieser Bruderschaft nicht verringern. Häufig zeigen Meinungsumfragen, dass die Bevölkerung der Region für eine sinnvolle Verbindung zwischen dem Islam und einem modernen Staat ist. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann nur die Muslimbruderschaft ein solches Ziel erreichen.
  • Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme Ägyptens sind so groß, dass das durch Putsch an die Macht gekommene System sie nicht durch Petrodollars der Araber am Persischen Golf lösen kann. Die Staaten am Persischen Golf können langfristig das ägyptische Regime nicht auf dem jetzigen Niveau finanziell weiter unterstützen.
  • Die Muslimbruderschaft als Terroristen einzustufen, wird den Beziehungen der Staaten am Persischen Golf mit einigen islamischen Ländern, insbesondere mit der Türkei, immer mehr schaden.

saddam10-07-14

In Tunesien ist ein Partei und die heisst ennahda und nicht die Muslim Bruder...

Orientalist10-07-14

Saddam, die Enhada geht aus der Muslimbruderschaft hervor.

Damian26-07-14

"die Muslimbrüder als terroristische Organisationen einzustufen, wirft viele Fragen in Bezug auf deren Weitsicht und Ziele auf."

Mittlerweile sind diese Terror-Listen doch ein Witz:

die Volksmodschaheddin, obwohl nachweislich in Terroraktivitäten involviert, ist raus aus der US-Terror-Liste. Die Hezbollah, obwohl nie etwas nachgewiesen wurde und sie völkerrechtlich zum militärischen Widerstand befähigt sind, wurde vor kurzem als terroristisch eingestuft und jetzt auch noch die Muslimbrüder? Währenddessen fängt man gleichzeitig so langsam sogar an zu sagen "Al-Qaida ist ja doch nicht so schlimm, Isis ist doch schlimmer" und ehe wir uns versehen, werden dann Al-Qaida und auch noch Isis nicht mehr als Terroristen eingestuft? Gleichzeitig sind Assange und Snowden Verbrecher, weil sie dem Wort "Journalismus" wieder eine Bedeutung gegeben haben und Obama bekommt den Friedensnobelpreis, weil ihm ganz plötzlich diese "originelle" Vision einer atomwaffenfreien Welt kam, während amerikanische Atombomben auf deutschem Boden modernisiert werden und Drohnen in Jemen, Pakistan und Somalia hageln? Aber warum wundere ich mich? Hitler wurde schließlich auch für den Friedensnobelpreis nominiert. Hätte er den Krieg gewonnen, hätte er den Preis wohl auch gewonnen und die Juden wären Terroristen.





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