01.07.2014

Irans Vorgängerregierung verhandelte bereits mit den USA


Seyed Mohammad Sadegh Kharazi

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi

Ausschnitte aus dem Interview der iranischen  Nachrichtenagentur Mehr mit Seyed Mohammad Sadegh Kharazi, dem ehemalign iranischen Botschafter in Frankreich und  einer der führenden Berater des ehemaligen Präsidenten Khatami.

Mehr News: Wie würden sie die Verhandlungen zwischen Iran und der G5+1 bewerten, die jetzt in die letzte Phase der Abfassung eines Entwurfs eingetreten sind?

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Ich nehme nicht an, dass wir in die letzte Phase eingetreten sind. Es gibt zahlreiche Höhen und Tiefen auf dem Weg der Atomgespräche, und in Wirklichkeit werden wir jeden Tag mit neuen Phänomenen konfrontiert.

Diese Phänomene gibt es in den Außenbeziehungen und in den regionalen und inneren Angelegenheiten. Es ist zu früh, um anzunehmen, dass wir uns einer Übereinkunft nähern. Meine politische Erfahrung hat mich konservativ werden lassen, und ich kann nicht sagen, dass wir, trotz der großen Bemühungen diesbezüglich, kurz vor einer Einigung stehen.

Mehr News: Glauben Sie daher, dass unter den gegebenen Umständen das Erreichen der Phase, in der der Schlusstext und eine umfassende Vereinbarung geschrieben wird, unmöglich ist?

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Meine Deutung ist die, dass die G5+1-Staaten in den vergangenen acht Jahren unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Sie haben drei verschiedene Perioden der Verhandlungen erlebt: eine unter der Reformregierung, die andere war in den letzten acht Jahren, die auf einer präventiven Strategie basierte, und die neue Ära, die vor einem Jahr begann, in der die Außenpolitik auf Realismus beruht und eine Brücke zwischen den Schwerpunkten und den Realitäten erzeugt wurde.

Mehr News: Eine der wichtigsten Punkte in den Verhandlungen zwischen Iran und den G5+1 ist der Dialog zwischen Iran und den Vereinigten Staaten. Die Veränderungen in der Beziehung zwischen Iran und den USA begannen seit dem Telefongespräch der beiden Präsidenten in New York, und nach dem Genfer Abkommen gab es Höhen und Tiefen in dieser Angelegenheit. Mitglieder des Verhandlungsteams gaben an, dass sie ausschließlich mit den USA über nukleare Fragen sprechen würden,  und auf der anderen Seite ergreifen die Vereinigten Staaten Maßnahmen gegen den Geist des Genfer Abkommens, wie das Verhängen von Sanktionen. Wie würden sie diese Entwicklung bewerten? Denken Sie, dass die Beziehungen zwischen Iran und den USA eine neue Stufe erreicht haben und es eine Veränderung in diesen Beziehungen geben wird? Ist dies eine geeignete Maßnahme?

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Ich glaube nicht, dass das geführte Telefongespräch zwischen den Präsidenten den Beginn der Verhandlungen zwischen Iran und den USA darstellt. Das war mehr ein Telefongespräch, als alles andere. Mit allem Respekt gegenüber unseren Präsidenten, meine Sicht unterscheidet sich von der seiner Mitarbeiter.

Der Beginn der Verhandlungen zwischen Iran und den Vereinigten Staaten liegt in der Vergangenheit. Iran führte offene und geheime Gespräche mit den USA auf verschiedenen Ebenen. Die Vorgängerregierung verhandelte mehr als ein Jahr lang mit den USA in Oman, und die höchsten Instanzen des Landes hatten Kenntnis über die Details der Verhandlungen und führten die Strategien dieser Gespräche. Verhandlungen zwischen Iran und den Vereinigten Staaten wurden ebenfalls in Bezug auf das Thema Irak und über weitere Sicherheitsangelegenheiten geführt, wie über die Befreiung Afghanistans, die Errichtung der neuen Regierung und über die Tendenzen der dortigen Entwicklungen.

Ich denke, dass es unter den fünf Ländern plus Deutschland nicht die USA sind, die Hindernisse schaffen. Die Rolle, die Frankreich spielt, ist destruktiv, und wir müssen Maßnahmen ergreifen, um neue ernsthafte Bedingungen mit den französischen Verantwortungsträgern  zu erreichen.

Die Rolle, die China und Russland einnehmen, ist bis dato für uns nicht klar. Das Verhalten dieser beiden Länder ist eine Mischung aus Formalitäten und trotz unserer Unterstützung für sie und unsere Konzessionen, die ihnen gegeben wurde, verfolgen sie heimlich oder offen ihre eigenen Prioritäten. Einige dieser Konzessionen ignorierten sogar die Unabhängigkeit unseres Landes, aber dennoch gab es kein positives Wirken von Russland und China. Sie wahren lediglich ihre Gesichter. Obwohl die Welt noch die Zeit nach dem Kalten Krieg durchläuft, bilden sich schon neue Ausrichtungen. Die Widersprüche und Differenzen zwischen den USA und Russland und China sind offensichtlicher geworden, und wir müssen das Beste aus dieser Situation machen. Aber wir können nicht behaupten, dass China und Russland hervorragende Bilanzen in Bezug auf Iran haben.

Großbritannien hat seine eigene, besondere und komplizierte Rolle. Meines Wissens haben unter diesen Staaten die USA einen anderen Ansatz im Vergleich zur Vergangenheit. Ich beabsichtige nicht zu sagen, dass wir gegenüber den Handlungen der USA optimistisch sein sollen , aber was sich im Laufe der Verhandlungen gezeigt hat, ist, dass es wahr ist, dass es bei den USA natürliche Widersprüche zwischen Worten und Taten gibt und die Doppelmoral, die die USA betreiben, kann bei uns keine positive Sicht über sie bewirken.

Mehr News: Nach dem Amtsantritt der neuen Regierung, gab es neben der Atomfrage auch Veränderungen in unseren Beziehungen zu Großbritannien und wir nähern uns der Wiedereröffnung der Botschaften. Wie würden sie die Beziehungen zwischen Iran und Britannien in Anbetracht ihrer langen Vorgeschichte von Höhen und Tiefen bewerten?

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Ich bin gegen jeglichen Abbruch von außenpolitischen Beziehungen und glaube, dass das Führen von Beziehungen eine Notwendigkeit für eine aktive Außenpolitik darstellt. In der Tat ist die Existenz von logischen Beziehungen besser als überhaupt keine Beziehungen, und das ist die Grundlage für die Existenz einer Außenpolitik.

Aber im Hinblick auf die Schließung der britischen Botschaft in Teheran, machten die Briten den Hauptfehler. Die neue Regierung in diesem Land, die Regierung von Herrn Cameron, traf übereilte Entscheidungen, was die Beziehungen mit Iran angeht. Ich denke, die Regierung Großbritanniens hat nicht mit Geduld und Logik gehandelt. Erregungen existieren überall in der Welt. Der Zwischenfall, der in Bezug auf die britische Botschaft in Iran geschah, war weder der erste noch der letzte Vorfall für Großbritannien und für die ganze Welt. Offizielle Gespräche auf verschiedenen Ebenen werden seitdem geführt, und hohe Verantwortungsträger Irans haben immer ihre oppositionelle Haltung gegen solche emotionsbedingte Verhaltensweisen, die in der der britischen Botschaft passierten, ausgedrückt.

Es besteht kein Zweifel, dass die britischen Offiziellen sehr voreilig handelten, und sie selbst realisierten dies später. Die neue britische Regierung wusste nicht gut über Iran Bescheid und war mit schweren Missverständnissen konfrontiert. Später wurden sie sich über die geopolitische und geostrategische Macht eines Landes wie Iran klar und dass sie, ohne Beziehungen zu Iran, keinen Platz in dieser Region einnehmen werden.

Mehr News: Aber sie forderten Entschädigungen..

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Das Fordern von Entschädigungen ist die Norm. Dies ist nur natürlich. Als unsere Botschaft in Großbritannien angegriffen wurde, zahlte die Regierung Großbritanniens Entschädigungen. Das ist ein diplomatisches Protokoll und die Details müssen durch die gesetzlichen Protokolle abgewickelt werden.

Mehr News: Mit dem Amtsantritt der Rouhani-Regierung, war einer der aufgeworfenen Kritikpunkte unsere Beziehungen in Hinblick auf unsere Nachbarn. Es wird gesagt, dass seitdem Irans Atomakte in den Verantwortungsbereich des Außenministeriums gegeben wurde, die Beziehungen zu den Nachbarn und der Region vernachlässigt wurden. Außenminister Zarif hat mehrere Besuche in der Region gemacht, und natürlich war der Besuch Saudi-Arabiens und das Knüpfen von Beziehungen zu diesem Land stets ein Thema der Medienberichte. Wie würden Sie die Außenpolitik der Rouhani-Regierung in Bezug auf unsere Nachbarn beurteilen? Was sind ihrer Ansicht nach die Gründe dafür, dass manche regionale Staaten, insbesondere Saudi-Arabien, solch eine harsche Position gegenüber Iran eingenommen haben?

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Die Situation unserer Beziehungen hängt von unserer Außenpolitik der letzten acht Jahre ab. Das Misstrauen muss beseitigt werden. Ich glaube, dass unseren regionalen Beziehungen mehr Aufmerksamkeit innerhalb unserer Außenpolitik eingeräumt werden müssen. Der herrschende Geist unserer Außenpolitik basiert auf den internationalen Beziehungen. Dies kann nicht als Schwäche betrachtet werden, denn unser größtes Anliegen heute ist das internationale Anliegen, und dies nimmt die meiste Zeit unseres Außenministers in Anspruch.

Einige Staaten, wie Saudi-Arabien, haben ihre Interessen in Bezug auf Iran überarbeitet. Leider ist die Linie, die Saudi-Arabien in Bezug auf Iran verfolgt, viel schärfer als die der Israelis. Natürlich muss dieser Punkt aus einer historischen Perspektive untersucht werden, um herauszufinden, warum Saudi-Arabien dieses Stadium erreicht hat. Sind die saudischen Maßnahmen ideologisch begründet oder gab es wirklich große Anlässe dafür? Saudi-Arabien sieht sich nun mit einer schweren Krise innerhalb seines politischen Systems konfrontiert. Die politische Unterstützung der USA für dieses Land wurde reduziert.

Gegenwärtig haben zwei Punkte die Sicherheit und Stabilität Saudi-Arabiens erschüttert. Die Stabilität des Landes wurde durch die Existenz der Schiiten in seiner östlichen Region und den demokratischen Entwicklungen in der islamischen Welt erschüttert. Auf der anderen Seite ist Saudi-Arabien mit der Krise des herrschenden Patriarchats an der Macht konfrontiert. Die junge Generation Saudi-Arabiens strebt einen internationalen Status für Saudi-Arabien an. Diese Prinzen, die im Westen ausgebildet wurden, sehen nun Fehler im monarchischen System. Die Bedrohungen, die aus der Herrscherfamilie selbst kommen, haben den König beängstigt.

Ich denke, dass Herr Zarif in Bezug auf Saudi-Arabien  sehr gut gehandelt hat. Es ist nun Saudi-Arabien, welches Kompromisse mit Iran schließen muss und nicht umgekehrt. Iran hat nichts getan. Saudi-Arabien hat Verbrechen in einigen Regionen Irans begangen und muss für diese zur Rechenschaft gezogen werden. Die arabisch-iranische Betrachtung muss sich auf beiden Seiten ändern.

Mehr News: Letzte Woche wurde eine Präsidentschaftswahl in Syrien durchgeführt, und Bashar Assad wurde mit einer hohen Anzahl an Stimmen zum Präsidenten des Landes wiedergewählt. Wie beurteilen Sie diese Wahl?

Seyed Mohammad Sadegh Kharazi: Jeder wusste, dass die Entwicklungen in Syrien in diese Richtung gehen werden. Bashar al-Assad hält einen Teil der Gesellschaft. 30% der Sunniten unterstützen Bashar al-Assad. Die über 16%  Alawiten, 8% Kurden und 6% Christen unterstützen ihn auch. Einige Länder folgten der US-Politik in der Syrien-Krise. Einige machten Aussagen, dass Bashar nicht länger als ein paar Tage an der Macht bleiben würde. Diese müssen nun ihre Politik sicherlich überdenken. Trotz der Kritik, welche gegen das politische System Syriens existiert, kann die Realität nicht ignoriert werden.

Bashar Assad war in der Lage, die Macht zu kontrollieren, und ich hoffe, dass diese Wahl ein Wendepunkt sein wird, in der die Macht logisch aufgeteilt wird. Es gibt eine syrische Mehrheit und alawitische, kurdische und christliche Minderheiten in der syrischen Gesellschaft, folglich müssen ernsthafte Änderungen in den inneren Verhältnissen und in der Machtverteilung vorgenommen werden. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Weltmächte in Washington, London und Paris in der Lage waren, politische Systeme mit Hilfe von infiltrierenden Agenten zu beseitigen. Die Welt hat sich verändert, aber es scheint, dass die Natur der herrschenden Mächte sich noch nicht geändert hat.


Erstmals veröffentlicht am 15. Juni 2014 bei IRDiplomacy. Übersetzt von Bahram Sojudi.


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