19.06.2014 Bruce Riedel

US-Experte: Auch im Irak bleibt Iran Sieger


Irak Iran Ministerpräsident Nouri al-Maliki Präsident Hassan Rouhani Teheran

Der irakische Ministerpräsident Nouri al-Maliki (l.) beim iranischen Präsidenten Hassan Rouhani (r.) in Teheran Anfang Dezember des letzten Jahres.

Iran war augenscheinlich ebenso wie der Rest der Welt überrascht von der dramatischen Offensive der letzten Woche, durch welche die irakische Armee aus Mossul und Tikrit gedrängt wurde und welche die sunnitischen Terroristen an die Grenzen Bagdads brachte, Irans Geheimdienste dürften den von al-Qaida inspirierten „Islamischen Staat im Irak und in der Levante” (ISIS) in gleicher Weise unterschätzt haben wie ihre westlichen Kollegen.

Iran verfügt aber über die besseren Voraussetzungen, um sich davon zu erholen und zurückzuschlagen – und wahrscheinlich wird er als der große Sieger aus dem irakischen Debakel hervorgehen und seine Dominanz in Bagdad noch verstärken. Das Kräftegleichgewicht in der Region wird sich noch stärker zu Gunsten Irans verschieben.

Im Irak sprechen Geografie, Demografie und Geschichte für Iran. Für Iran ist es ein Leichtes, Berater, Experten und Spezialkräfte nach Bagdad oder sonst wohin in den Irak zu schicken, ohne dass es groß auffallen würde. Berichte, wonach sich bereits Qassim Suleimani, der Kommandant der Quds-Kräfte (einer Division der iranischen Revolutionsgarden, Sepah-e Pasdaran, IRGC) der Islamischen Revolution), bereits in Bagdad befinde, unterstreicht, wie schnell Teheran imstande ist, zu handeln, und wie gut die Verbindungen zum Regime Nouri al-Malikis sind.

Teheran ermuntert auch die schiitischen Milizen im Irak, die 65% der Iraker, die Glaubensbrüder sind, zu mobilisieren, um dem terroristischen Blitzkrieg der ISIS zu begegnen. Für Teheran ist jetzt die historische Gelegenheit gekommen, seinen Einfluss westwärts zu verbreiten unter der größten arabisch-schiitischen Bevölkerung der Welt. 

Die Nummer zwei im iranischen Geheimdienst- und Sicherheitsministerium (MOIS) sagte: „Die Islamische Republik Iran ist wie ein Löwe, mit dem die ISIS-Terroristen nicht umgehen können. So wie sie die Schärfe des iranischen Zornes in Syrien zu spüren bekamen, so wird es ihnen auch im Irak ergehen.“ Für Iran ist die ISIS das willkommene sektiererische Schreckgespenst, um schiitische Araber von Beirut bis Basra zu vereinen.

Teheran riskiert damit zwar sunnitische Terroranschläge in Iran selbst, aber ist bereit, diesen Preis zu bezahlen. Der stellvertretende MOIS-Minister gab an, Iran habe kürzlich 30 Terroristen inhaftiert und mehrere Komplotte aufgedeckt. Iran behauptet, al-Qaida bereits seit 1994 zu bekämpfen, als sunnitische Terroristen eine Bombe in Mashhad, der Heiligen Stadt der Schiiten, detonieren ließen. Tatsächlich war das Verhältnis zwischen Teheran und al-Qaida eine Mischung aus Feindseligkeit und stillschweigenden Absprachen gewesen.

Iran macht die Invasion der USA und der Briten im Jahre 2003 für den Aufstieg der ISIS und ihrer Vorgängerorganisation, der „al-Qaida im Irak” (AQI), verantwortlich. Ironie des Schicksals ist jedoch, dass der größte Nutznießer des früheren US-Präsidenten George W. Bush Iran selbst war. Der Krieg beseitigte Irans Todfeind Saddam Hussein, der Iran einen acht Jahre langen Krieg aufgezwungen hatte. Die Iraner erinnern sich gut daran, dass Washington damals Saddam Hussein unterstützt hatte und im Persischen Golf dem Irak half, den Großteil der iranischen Seestreitkräfte zu versenken.

Iran wird weiterhin brav Lippenbekenntnisse zur Wiederherstellung der territorialen Integrität des Irak abgeben und zur Wiedervereinigung der Nation. Faktisch sind aber drei Staaten – ein schiitischer, ein kurdischer und ein sunnitischer Kleinstaat – für Iran besser zu manipulieren als ein starker Irak. Denn so hätten die Schiiten die Oberhand, während sie selbst jedoch von Teheran abhängig blieben.

Die iranische Hilfe geht deshalb auch nicht mit Forderungen nach einer stärkeren Kooperation der Schiiten mit den anderen irakischen Volksgruppen einher, wie sie Washington verlangt. Teheran will einen verlässlichen starken Mann unter den Schiiten, keinen Demokraten.

Teheran hat bereits stillschweigend die Unterstützung der USA für Maliki begrüßt. Amerikanische Luftschläge würden die ISIS schwächen, ohne Washington irgendeinen größeren Einfluss in Bagdad zu sichern. Aus Teherans Sicht sind die USA ein vorübergehender Akteur im Irak, kein permanenter Faktor.

Die tatsächlichen Feinde Irans werden die Verlierer sein. Saudi-Arabien hat seinen Kampf um mehr Einfluss im Irak schon vor längerer Zeit verloren, und wird umso leerer ausgehen, als die feindselige ISIS und der feindselige Iran sich an seiner Nordgrenze den Kuchen teilen werden. Wenn sich Iran als Retter der irakischen Schiiten profiliert hat, werden auch die Schiiten in Bahrain, Kuwait und in der östlichen Provinz des saudischen Königreichs noch stärker zu Teheran aufschauen.

Aber auch Israel, das Iran als größten regionalen Rivalen betrachtet, wird geschwächt aus der Entwicklung hervorgehen. Gemäßigte Kräfte innerhalb der arabischen Welt werden noch stärker zwischen extremen sunnitischen Gruppen und dem schiitischen Iran eingezwängt werden. Das zwingt sie, weniger kompromissbereit gegenüber Jerusalem aufzutreten, da zu große Zugeständnisse unpopulär und gefährlich sind. Dabei ist Jordanien der verwundbarste der betreffenden Staaten.

Wenn Iran hilft, ISIS außerhalb Bagdads zu stoppen, wird die Wirkung davon auch in Syrien zu verspüren sein. Iran und seine Verbündeten von der Hisbollah werden noch mehr Glaubwürdigkeit als jene Kraft gewinnen, die tatsächlich auch im Kampf auf dem Boden dem al-Qaidismus die Stirn bietet. Teheran wird zur Führungsmacht eines Blocks schiitisch dominierter Staaten aufsteigen, die die ausschlaggebende Sicherheitsgarantie Irans suchen werden.

Es war nicht die Absicht des ISIS-Führers Abu Bakr al-Baghdadi, mit seinem Blitzsieg gegen Irak iranischen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen, aber ebenso wie von der extremen sektiererischen Gewalt seines Mentors Abu Musab al-Zarqawis ein Jahrzehnt zuvor wird Iran letztlich davon wahrscheinlich profitieren. In der Zwischenzeit wird die gesamte Region in einem Blutbad sektiererischen Hasses versinken, der so leicht zu entzünden, aber fast unmöglich zu stoppen ist.


Bruce Riedel ist ein führender US-Experte für den Nahen Osten und für Fragen des Terrorismus. Er war 29 Jahre für die Central Intelligence Agency (CIA) tätig und war ferner Diplomat sowie Berater der US-Regierung.

Erstmals veröffentlicht am 20. Mai 2014 bei Al-Monitor. Übersetzt von Ali Özkök.


Unbekannt19-06-14

Das ist Unsinn, der iranische Gehemdienst hat die ISIS nie unterschätzt, sonste wäre die Hisbollah nicht in Syrien einmarschiert und Teheran hätte nicht ständig gewarnt, dass diese Gruppen außer Kontroller geraten.

Unbekannt19-06-14

Wieso wird die irakische Regierung als Regime von Nuri Maliki bezeichnet? Erst April gab es freie und faire Wahlen unter internationaler Aufsicht im Irak und Maliki gewann die Wahlen!

Unbekannt19-06-14

In der Tat ist Iran der größte Profiteur der derzeitigen Krise, aber es erschließt sich mir nicht, warum Iran von einer Dreiteilung profitieren würde, wenn doch jetzt die pro-iranischen Schiiten jahrelang über ganz Irak regierten.

Le Mec20-06-14

Ich verbitte mir die Bezeichnung der ISIS als "sunnitisch". Nur weil sie sich selbst (und nur sich selbst) als sunnitisch bezeichnen, sind sie es noch lange nicht.

Gast22-06-14

@ Le Mec: Sehe ich ähnlich. ISIS, Al Nusra, Boko Haram, Al Shabaab und alle anderen Al Qaida-artigen Banden sind nicht einfach irgendwelche Sunniten. Ihr ideologisches Fundament liegt in einer bestimmten sektiererischen Richtung INNERHALB des sunnitischen Islam, nämlich im Wahhabismus der arabischen Halbinsel. Bis weit ins späte 20. Jh. hinein war deren Religionsverständnis noch ein rein regionales Phänomen. In den meisten Medien hierzulande kommt dieser Kontext aber kaum zur Sprache, dass überhaupt von Sunniten die Rede ist, liegt an der konfessionalen Gespaltenheit des Iraks, ansonsten würde es einfach "radikal islamisch" heißen.





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