13.05.2014 Shayan Arkian

Interview mit dem Iran-Experten Dr. Walter Posch


Dr. Walter Posch

Dr. Walter Posch

Vor drei Jahren führten wir unter dem Vorzeichen der Unruhen nach der damaligen Präsidentschaftswahl in Iran bereits ein ausführliches Interview mit dem Iran-Experten Dr. Walter Posch, das für viel Resonanz in den Fachkreisen und bei Interessierten gesorgt hatte. Dr. Walter Posch berät unter anderem die Bundesregierung, den Bundestag und die Europäische Union (EU) und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der einflussreichen außenpolitischen Denkfabrik „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) in Berlin.

Posch erläutert nun in dem vorliegenden Interview unter anderem Themen wie der Einfluss der Revolutionsgardisten (Sepah-e Pasdaran, IRGC) nach Rouhanis Wahlsieg, die Reformfähigkeit der Islamischen Republik Iran, die strategische Notwendigkeit einer Annäherung zwischen dem Westen und Iran und was die Gründe für die systematische Unterschätzung der Islamischen Republik Iran im Westen sind.

IranAnders: Lieber Herr Dr. Posch, die Präsidentschaftswahlen in Iran sind immer für eine Überraschung gut, insbesondere wenn der amtierende Präsident nach seiner Wiederwahl nicht unmittelbar wieder kandidieren darf. Hat Sie der Wahlsieg Hassan Rouhanis überrascht?

Dr. Walter Posch: Ja, weil ich von der Propaganda ausging. Es gibt ja ganz wenige, die gesagt haben, dass ein moderater Kandidat die Wahl gewinnen würde. Des Weiteren hatte der konservative Said Jalili, der für den politischen Diskurs „Widerstand um jeden Preis“ stand, eine relativ große Medienpräsenz gehabt. Weniger überrascht hat mich, dass die klassischen islamischen Linken, die dann später in der Reformbewegung aufgegangen sind, weniger Chancen gehabt haben. Denken Sie an den einzigen Reformer bei der Wahl, Mohammad Reza Aref, der aufgrund der Umfragewerte vorzeitig von der Wahl zurücktrat. Aber kurz noch einmal zu Rouhani selbst: Er ist jemand, der in allen politischen Richtungen hin vernetzt ist. Es scheint in der Bevölkerung eine Bewegung gegeben zu haben, die mehr auf Ruhe und auf "keine Experimente" setzt.

IranAnders: Ist denn der wirtschaftliche Einfluss der Revolutionsgardisten (Sepah-e Pasdaran, IRGC) nach Rouhanis Amtsübernahme eingeschränkt?

Dr. Walter Posch: Ich glaube, wir haben vorab den wirtschaftlichen Einfluss der Pasdaran zu klären. Zunächst einmal muss man das in Relation setzen zum wirtschaftlichen Einfluss der ägyptischen Armee in Ägypten und der pakistanischen Armee in Pakistan. Und da würde ich sagen, dass die Iraner irgendwie zwischen dem ägyptischen und pakistanischen Modell sind. Und vergessen Sie nicht die türkische Armee, die sich sehr massiv - aber in den letzten 15 Jahren nicht mehr – wirtschaftlich engagiert hat.

Das Zweite ist: Diese Arten von privaten und staatlichen Partnerschaften (Private-Public-Partnership) sind etwas, was auch im Westen immer mehr im Kommen ist oder siehe die „United States Army Corps of Engineers“ quasi als Äquivalent zur Pasdaran-Firma „Khatam Al-Anbiya“. Allerdings hat aber die Pasdaran nach einhelliger Meinung aller Wirtschaftstreibenden zu viel an sich gerissen. Andererseits aber wird Iran wohl längere Zeit eine starke Institution brauchen, die militärisch geführt unrentable oder kostenintensive Entwicklungsprojekte bewerkstelligen kann, weil der private Markt noch schwach ist. Ich gehe davon aus, dass ein Durchbruch in eine richtige moderne Privatisierung ohne massive Veränderungen im wirtschaftlichen Verhältnis zwischen Iran und dem Westen nicht zu schaffen sein wird.

IranAnders: Das heißt, dass die Sanktionen gegen Iran die Revolutionsgardisten (Sepah-e Pasdaran, IRGC) wirtschaftlich gestärkt haben?

Dr. Walter Posch: Man sieht die Ausweitung des Einflusses der Pasdaran mit der Verschärfung der Sanktionen. Beide Sachen sind nicht zufällig und gehen nicht zufällig Hand in Hand. Da haben wir eine missglückte Privatisierung, die wir unter dem vorigen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad gehabt haben, die aber vorher auch niemandem geglückt ist. Es gibt dafür nämlich objektivierbare Voraussetzungen. Es ist nicht das Klügste, Privatisierungen unter Sanktionen zu machen. Dann gibt es das Problem, dass die Privatwirtschaft ohnehin unterentwickelt war, um privatisierte Staatsunternehmen aufzukaufen. Wenn dann der große Druck von Außen dazu kommt, geht man automatisch auf Notfallwirtschaft; und ich würde sagen, dass der Einfluss der Pasdaran eben darauf zurückzuführen ist, dass dieser Notfallmodus umgeschaltet worden ist. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Rouhani jetzt hergeht und sofort alles einschränkt.

IranAnders: Kommen wir zu einem anderen Thema: die iranische Atompolitik. Hat sich diese nach der Amtsübernahme Rouhanis wesentlich geändert?

Dr. Walter Posch: Die Atompolitik nein, die Diplomatie ja. Die Atompolitik deshalb nicht, weil es seit Jahren um die gleichen Kernfragen geht: Wie viel wird angereichert? Was passiert mit dem Schwerwasserreaktor in Arak? Welche Überwachungsmechanismen gelten? Wie wird das bisher fehlende Vertrauen zwischen dem Westen und Iran hergestellt? Und da hilft es natürlich unglaublich, wenn man jemanden als Außenminister hat, der über zwanzig Jahre in den USA gelebt hatte, wie der jetzige Amtsinhaber Mohammad Javad Zarif. Dieser Hintergrund und diese Erfahrung fehlen bei den Vertretern der iranischen Kriegsgeneration. Die Tragik dieser Generation liegt unter anderem darin, dass die als einziges Ausland vielleicht irgendwann mal in einem muslimischen Land war, aber das westliche Ausland aus eigener Anschauung nicht kannten. Das ist ein Problem und vor allem führt es dazu, dass die typisch westliche Mischung zwischen Pragmatismus und Eigeninteresse und Verantwortung für die Welt einfach als zu kompliziert oder zynisch wahrgenommen wird. Dadurch konnte sie nie das notwendige Verständnis und Fingerspitzengefühl für internationale Politik entwickeln. Und an dem ist ja der früherer Atomunterhändler und Hoffnungsträger der Hardliner, Said Jalili, gescheitert, der sich ja sehr bemüht hat. Bei ihm fehlten einfach die kulturellen Kenntnisse. Wenn aber jemand wie Zarif über Jahre in New York gelebt hat, die Sachen beobachtet hat, diesen diplomatischen Klüngel gut verstanden hat, dann ist dies eine Schule, die man durch nichts ersetzen kann und die für Iran wichtig ist. Deswegen sind die Atomverhandlungen vom Stil her anders.

IranAnders: Also hat sich letztlich die iranische Atompolitik nicht geändert? Ist es also ausschlaggebend für den sich anbahnenden Durchbruch, dass sich der Ton in Iran und damit das Image Irans verändert hat und essentiell sozusagen alles beim Alten geblieben ist?

Dr. Walter Posch: Na ja, die strategischen Parameter sind dieselben geblieben. Das Problem war bei Ahmadinejad zum Teil die Person und zum anderen die Verhandlungsmodalität, die sich zu Tode gefahren hat. Das war eine diplomatische Leistung jener Diplomaten auf beiden Seiten, die wir alle nicht kennen, weil sie in der zweiten und dritten Reihe stehen, die daraus einen Prozess gemacht haben, obwohl da kein Prozess mehr war. Hinzu kommt, dass auf westlicher Seite das Vertrauen in Rouhani da ist, unter anderem weil man weiß, dass er einen Hintergrund im Sicherheitsapparat hat, und weil man weiß, dass er jemand ist, der von vorneherein auch im iranischen Sinne wertkonservativ ist, aber der auch die strategischen und die politischen Anforderungen des Westens versteht. Auf der anderen Seite weiß Teheran, dass es keine Bombe bauen kann, und dass die Bombe auch sinnlos ist, was auch im Westen bekannt ist. Umgekehrt weiß man in Teheran aber auch, dass es mit den Amerikanern eine strategische Verständigung braucht. Die strategische Notwendigkeit der Zusammenarbeit wird immer größer. Man kann es einfach nicht ignorieren, weil wir vor einer vollkommen neuen Bedrohung stehen, die wir schon lange kennen, aber die jetzt eine ganz neue Dynamik und  eine neue, brutale Dimension angenommen hat - mit Al-Qaida oder mit den vielen- Al-Qaida-artigen Organisationen.

IranAnders: Was würde ein Scheitern Rouhanis bei den Atomverhandlungen für die Wahlen in Iran in drei Jahren bedeuten?

Dr. Walter Posch: Da hängt vieles davon ab, wie der Westen reagieren wird, wie Russland reagieren wird und wie andere Staaten reagieren werden. Wird es eine tatsächliche Wirtschaftsblockade gegen Iran geben? Werden die Iraner tatsächlich die Straße von Hormuz sperren? Auf welchem Niveau pendelt sich die iranische Wirtschaft ein? Oder kollabiert die iranische Wirtschaft tatsächlich? Gelingt es den Amerikanern, Iran total zu isolieren? Das sind alles Sachen, die da mit eine Rolle spielen. Aber bzgl. der innenpolitischen Dynamik glaube ich, dass sich bei den Eliten in Iran Frustration breit machen wird und jener großer Teil der Konservativen, der derzeit wesentlich Rouhani unterstützt, wird dann natürlich von sich aus sagen, dass alles nichts gebracht habe, es habe nicht funktioniert. Man wird sich wahrscheinlich wieder auf den Widerstandsdiskurs einlassen. Viel schlimmer ist solch ein Szenario aber für die ganze Region. Was passiert eigentlich, wenn die Konfrontation zwischen den drei - dem Westen, Al-Qaida und Iran - so weiter geht? Damit gäbe es zu viele unberechenbare Variablen. Wenn man nicht kooperiert und daher keinen nachrichtendienstlichen Informationsaustausch betreibt, dann wird diese Spannung zwischen dem Westen und Iran zu viele Ressourcen auf beiden Seiten wegnehmen, die besser für den Kampf gegen Al-Qaida genutzt werden sollten. Dadurch können diese extremistischen Gruppen leichter agieren - mit Verknüpfungen, die von Europa über Syrien und den Irak bis nach Belutschistan und nach Afghanistan reichen, ganz zu schweigen von Afrika. Ein Nicht-Verhältnis oder gar eine Konfrontation zwischen Iran und dem Westen würde zwangsläufig eine sehr gefährliche und eine sehr destabilisierende Situation nach sich ziehen werden, ohne dass es die Entscheidungsträger auf beiden Seiten wollen. Daher sollte erkannt werden, dass sie mit einer komplizierten Partnerschaft besser fahren, als mit einer simplen Konfrontation.

IranAnders: Und andersherum, wird ein Erfolg bei den Atomverhandlungen dazu führen, Rouhanis Regierung zu stärken und ihr damit ermöglichen, Reformen leichter durchzuführen? Ist also die Voraussetzung für die Reformen, die Rouhani versprochen hat, zunächst einmal der wirtschaftliche Erfolg?

Dr. Walter Posch: Also nach politischem Textbuch müsste das so sein. Wenn man jetzt von demokratischen Reformen spricht, was gehört denn da dazu? Gehört dazu das weniger Nachfragestellen bei der ideologischen Sicherheitsüberprüfung? Reformiere ich das oder behalte ich das bei? Gehe ich mehr auf die ideologische Qualifikation oder gehe ich mehr auf die nicht-ideologische Qualifikation? Auf welche Leute kann ich mich verlassen? Das geht alles ineinander.

Auf der anderen Seite bedeutet ein Arrangement zwischen den USA und Iran nicht gleichzeitig eine Aufgabe der revolutionären Identität der Islamischen Republik Iran. Das ist ein Denkfehler, den viele im Westen begehen. Das wird sicherlich nicht so werden, weil die iranische Seite sich nach wie vor als stark genug betrachtet. Ironischerweise ist es ja gerade diese Stärke, die sie wieder für die Amerikaner interessant macht. Wenn die Amerikaner auf den potentiellen iranischen Partner schauen, sehen sie einen potentiell gefährlichen Gegner - freilich nicht im klassischen militärischen Sinn - aber sie sehen auch einen organisierten und lernfähigen Sicherheitsapparat. Das macht die Islamische Republik für die Amerikaner als Partner viel interessanter als viele andere Staaten, die auf Sultane oder Präsidentenfamilien beruhen oder auf einer Handvoll von Offizieren.

Ich gehe freilich nicht davon aus, dass der ideologische Impetus, der die Identität der Islamischen Republik bestimmt, überwunden wird oder dass Rouhani das auch will. Ich sehe nichts an Rouhani, dass er da irgendetwas in der Ideologie aufgeben will, denn Iran ist zwar keine klassische Weltmacht, aber eine Macht, die der in der Lage ist, ideologische und weltanschauliche Akzente auf der Weltbühne zu setzen.

IranAnders: Denken Sie, dass eine kulturelle Liberalisierung in der Islamischen Republik Iran durchführbar ist?

Fraun Iran Kopftuch Hijab Kulturschock
Kulturgefälle in Iran.

Dr. Walter Posch: Was heißt kulturelle Liberalisierung in Iran? Im Westen betont man gerne die Bedeutung der euroamerikanisch orientierten Bürgerlichen, der Künstler und westlich gebildeten Intellektuellen, die zwar stärker sind, als man allgemein annimmt, aber die wirkliche kulturelle Herausforderung sind die sunnitischen ethnischen Minderheiten. Da gibt es wirklich tiefe kulturelle Unterschiede im gesamten Land. Man denke an den großen kulturellen Graben, der Teile von Nordteheran von Belutschistan trennt. Ruhani wird sicherlich ein wenig die allgemeinen kulturellen Bestimmungen z.B. bei der Filmzensur lockern, sein Schwerpunkt liegt jedoch beim heiklen Thema Sunniten und ethnische Minderheiten, das der sehr klug nämlich indirekt angeht. Ein Teil der Lösung scheint die Aufwertung der Provinzen zu sein. Es gibt in Iran die Erkenntnis, dass sich viele Sachen von der Hauptstadt aus zentral nicht lösen lassen, aber wenn man den richtigen Mann bzw. das richtige Team am richtigen Ort hat, das die wirtschaftlichen und kulturellen  Bedürfnisse der  lokalen Bevölkerung kennt und dieses mit den nötigen Kompetenzen ausstattet, lässt sich ein wichtiger Teil der infrastrukturell bedingten Probleme lösen. Das sind alles heikle Sachen und ich warne vor zu großen Hoffnungen. Aber der Ansatz Frustrationen in den Provinzen – auch in den sunnitisch dominierten – durch eine Verwaltungsreform, die der lokalen Verwaltung mehr Eigenverantwortung gibt, ist meiner Ansicht nach ein vielversprechender Weg.

Darüber hinaus wird sich an der islamischen Identität Irans nichts ändern - wir sehen ja auch, dass überall, wo in den letzten Jahren interveniert worden ist und wo Regime geändert worden sind, islamische Republiken entstanden. Die Kernfrage ist jedoch wie tolerant und demokratisch Iran werden wird: islamisch-republikanisch, wie es in der Verfassung steht und wodurch es möglich wäre, Sunniten und selbst säkular orientierte Schichten wieder in den politischen Prozess einzubinden oder schiitisch-autoritär, wodurch ganze Bevölkerungsgruppen politisch diskriminiert würden.

IranAnders: Was braucht Iran Ihrer Meinung nach als Erstes?

Dr. Walter Posch: Was Iran derzeit braucht, ist weniger die symbolische Ebene, sondern vielmehr muss die gesamte Misswirtschaft und Kriminalität, die im Soge der Sanktionen entstand, zurückgerollt werden. Stellen Sie sich einen funktionierenden freien Markt in Iran vor und die Aufhebung der Sanktionen, dann gibt es bestimmte Figuren auch nicht mehr, die in den letzten Jahren durch die Sanktionen massiv reich geworden sind. Das ist das, was Iran jetzt braucht und die anderen Sachen ergeben sich von selbst. Ich halte nämlich durchaus die Bevölkerung und auch die Eliten - inklusive den Sicherheitsapparats - für dazu in der Lage, das Gleichgewicht der Arrangements zu finden. Aber der Rechtsstaatsreform ist unter erschwerten Bedingungen wie gegenwärtig wirklich schwierig.

IranAnders: Sie sprachen an, dass Rouhani von einem großen Teil der Konservativen unterstützt wird. Wer sind aber die ärgsten Widersacher Rouhanis in der Islamischen Republik, und wie groß ist ihr Einfluss derzeit?

Dr. Walter Posch: Ich glaube nicht, dass Rouhani ideologisch oder persönlich massiv angefeindet wird. Was mir über den letzten Jahren aufgefallen ist, ist, dass Rouhani mit allen reden konnte. Also ihm wird nicht so viel Ablehnung entgegengebracht wie z.B. dem ehemaligen Reformpräsidenten Mohammad Khatami oder dem reformorientierten Präsidentschaftsanwärter Aref gegenüber entgegengebracht worden wäre. Vielmehr scheint es so zu sein, dass man ihm punktuelle Vorwürfe macht. Also institutionellen Widerstand sehe ich relativ wenig. Und ich glaube nicht, dass die Pasdaran so gegen Rouhani ist oder ihm das Leben schwer machen will.

IranAnders: Ich finde es interessant, dass zum Beispiel einige Konservative den iranischen Außenminister für etwas kritisieren, was zum Beispiel auch der Außenminister Ahmadinejads gemacht hat.

Dr. Walter Posch: Ich glaube, Zarif hat da ein größeres Problem als Rohani. Jeder weiß, dass Rouhani das Vertrauen des religiös-politischen Staatsoberhauptes, Ayatollah Ali Khamenei, genießt, was jetzt nicht heißt, dass Khamenei die Sachen genauso machen würde wie Rouhani. Aber Rohani ist der Mann, der eine Vertrauensposition hat. Zarif wiederum war jahrelang im Ausland und damit hat Zarif eigentlich keine politische Hausmacht. Das ist eine Einladung für jeden, der zeigen will, dass er noch da ist.

IranAnders: Sie gehören zu den wenigen Iran-Experten, die häufig richtige Einschätzungen und Prognosen über Iran vornehmen, aber wenn man die westliche Presse betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass seit Bestehen der Islamischen Republik in Iran eine systematische Unterschätzung und Fehleinschätzung in Bezug auf diese Staatsordnung und das Land vollzogen wird. Wenn man in den Archiven der Zeitungen und Wochenmagazine schaut, hat man der Islamischen Republik seit ihrem Bestehen nur eine Überlebensfrist von wenigen Monaten oder Jahren zugesprochen. Diese Fehleinschätzungen lassen sich wie ein roter Faden bis weiterverfolgen in die jüngste Zeit. Fehleinschätzungen über Fehleinschätzungen. Zuletzt hieß es, die Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen 2009 würde das Regime zum Kippen bringen. Später hieß es, die Sanktionen würden die iranische Wirtschaft zum Kollaps bringen. Dann hieß es, durch den definitiven Sturz des Verbündeten Assads wird Iran seine Führungsrolle in der Region an der Türkei verlieren. All diese Prognosen sind nicht eingetroffen und nicht nur, dass Assad immer noch – Dank der Hilfe aus Teheran und zur Überraschung der meisten Analytiker im Westen - fest im Sattel sitzt, Iran konnte sogar in den letzten Jahren seine regionale Führungsrolle ausbauen. Was ist ihrer Meinung nach die Ursache für all diese Fehleinschätzungen? Sind es strukturelle Gründe oder womit hängt es zusammen?

Dr. Walter Posch: Wunschdenken spielt eine Rolle und dann etwas, was im Westen nicht ganz verstanden wird. Ich glaube, wir sind uns hier einig, dass man Iran nicht als westliche Demokratie sehen kann, gleichzeitig ist es von der Arbeitsweise her keine Diktatur. Und dieses Mittelding ist nicht verstanden worden. Das heißt diese Dynamik, die die Islamische Republik am Leben hält, die darin besteht, dass man politische Diskurse aus anderen politischen Traditionen aufnehmen, uminterpretieren, ausscheiden und wiederaufnehmen kann. Diese Dynamik ist nie verstanden worden, weil man davon ausgegangen ist, dass alle nahöstlichen Staaten Diktaturen sein müssen und keinen anderen Modus Operandi hätten. Das ist in Iran einfach nicht der Fall.

Das ist das Eine, das Andere ist: Die ersten Veränderungen, wo man hergeht und sich überlegt, wie reorganisieren wir den Staat weiter, sind bereits in der Verfassung angelegt. Das heißt also: Während die anderen, die klassischen Diktaturen, auf das Fortschreiten des Ist-Zustands aufbauen, sind potentielle umstürzlerische Kräfte gegen die Islamische Republik im Dauerstress, weil im iranischen Staat selbst umgebaut und überlegt wird, wie es denn weitergehen soll und damit entsteht ein Ventil, das potentiell destruktive Energien der  Umstürzler ableitet.

IranAnders: Glauben Sie, dass ein anderer Grund bezüglich der westlichen Fehleinschätzungen über die Islamische Republik der ist, dass wir dermaßen säkularisiert sind und wir die Religiösen und Kleriker daher stets unterschätzen und ihnen sozusagen mit einer gewissen Arroganz begegnen und daher auch immer Fehleinschätzungen begehen?

Dr. Walter Posch: Das war vor allem in der ersten Phase nach der Revolution der Fall. Was vor allem unterschätzt worden ist, war die Fähigkeit des islamischen Klerus zur Organisation. Die hauptsächliche Fehleinschätzung besteht darin, zu glauben, dass der Klerus das reaktionäre oder das radikale Element gewesen sei. Wir haben aber tatsächlich die ironische Situation, dass die Nicht-Kleriker und Nicht-Turbanträger die radikaleren sind. In der Tat haben im Westen alle vergessen, dass die Ausbildung des Klerikers unter anderem darin besteht, klar und deutlich zu sprechen und sie talentierte Rhetoriker sind. Wenn Sie Texte von linksorientierten Intellektuellen aus den 80ern lesen und eine Fatwa oder eine Predigt von irgendeinem der Kleriker, ist meistens die Letztere lesbarer und nachvollziehbarer. Dazu kommt die Fähigkeit als einzige Gesellschaftsgruppe mit allen Gesellschaftsgruppen kommunizieren zu können. Es gibt immer jemanden, den man nicht mag, aber es gibt immer einen Kleriker, der mit Liberalen reden kann, es gibt immer einen Kleriker, der mit den Sunniten reden kann, es gibt immer einen Kleriker, der bei den Pasdaran beliebt ist, es gibt immer einen, der bei der Armee beliebt ist, es gibt immer einen, der für die Wirtschaftstreibenden ist, und immer einen, der für die Arbeiter ist. Und alle haben sie ihre Kanäle zum Büro des religiös-politischen Staatsoberhauptes. Sowohl das rhetorische als auch das organisatorische Talent des Klerus ist gröblich unterschätzt worden. Ebenso die Fähigkeit, wirklich staatsmännisch zu handeln, ist ebenfalls unterschätzt worden. Nicht umsonst ist mit Rouhani wieder ein Turbanträger zurückgekehrt. Dieses Missverständnis, dass der Klerus im Prinzip hinterwäldlerisch sei und wir da die großen Modernen wären, das bleibt, so glaube ich. Und das hat zur Unterschätzung Irans geführt.

IranAnders: Herr Dr. Posch, vielen Dank für das Gespräch.


Roland Marks13-05-14

Sehr gutes Interview, vielen Dank!

siglinde14-05-14

Guter Artikel, danke.
Das Bild mit dem Kulturgefälle im Iran hätte man sich sparen können, denn dieses findet man mittlerweile genauso in westlichen Ländern, sogar innerhalb meiner kleinen Heimatstadt.

mahmoud21-05-14

"die klassischen islamischen Linken, die dann später in der Reformbewegung aufgenagen sind..." Eigentlich waren (und sind immer noch) die sogenannten islamischen Linken im Iran der 90-er Jahre waschechte rechtsliberale. Sie wurden nur deshalb "links" genannt, weil sie eine liberalere Haltung in Religionsfragen sowie in der Politik und Kultur vertreten hatten. Die "islamischen Hardliner" im Iran waren und sind wirtschaftpolitisch betrachtet weitaus linksorientierter als die Reformkräfte. Zuweilen linkspopulistisch wie der Ahmadinejad.

RA22-05-14

@mahmoud

Walter Posch redet von den "klassischen islamischen Linken" der 80er Jahren, die sich dann in der 90er Jahren allmählich neu erfanden.

In den 80er Jahren waren sie für einen starken staatlichen Einfluss in der Wirtschaft. Und dass sie in Religionsfragen sowie Politik und Kultur eine liberale Haltung hatten, ist stark zu bezweifeln, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie für die Botschaftsbesetzung verantwortlich waren und während des Irak-Kuwait-Krieges Anfang der 90er ein Bündnis mit Saddam Hussein gegen die Alliierten vorschlugen.

Die sogenannten „islamische Hardliner“ waren immer für eine schwächere Rolle des Staates in der Wirtschaft und sie haben sich auch nicht neu erfunden wie die alten Linken. Und Ahmadinejad hat sich nie als „Prinzipialist“ (Konservativer) betrachtet. Aber es stimmt, dass insgesamt die heutigen Reformkräfte, also die alten Linken, wirtschaftsfreundlicher sind als die Konservativen.

Lori23-03-15

Interview mit Shayan Arkian​: Warum der Westen die Islamische Republik Iran nicht versteht: http://www.promosaik.com/interview-von-promosaik-mit-shayan-arkian-warum-der-westen-die-islamische-republik-iran-nicht-versteht/





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