13.03.2014 Dr. Bijan Khajehpour

Entschlüsselung der iranischen "Wirtschaft des Widerstands"


Ayatollah Ali Khamenei Akbar Hashemi Rafsanjani Hassan Rouhani

Die Richtlinien bzgl. der "Widerstandswirtschaft" sind mit Beratung des Zweckmäßigkeitsrats beschlossen worden, dessen Vorsitz Ayatollah Hashemi Rafsanjani (r.) innehat.

In einem am 19. Februar erlassenen Dekret stellte Irans religiös-politisches Staatsoberhaupt, Ayatollah Ali Khamenei, die allgemeinen Richtlinien der "Widerstandswirtschaft" Irans vor. Im Folgenden sind die wichtigsten Ziele jenes Dokuments aufgelistet:

  • Aufbau von inländischen Kapazitäten unter maximaler Nutzung der Ressourcen des Landes, mit einem besonderen Fokus auf die Vermögensbildung für und mit Beteiligung der unteren und mittleren Einkommensklassen.
  • Förderung einer wissensbasierten Wirtschaft durch Ausarbeitung und Umsetzung eines umfassenden, wissenschaftlichen Plans für das Land und die Förderung von Innovationen mit dem ultimativen Ziel, die Nummer 1 der wissensbasierten Wirtschaft der Region zu werden.
  • Mehr Effizienz in der wirtschaftlichen Unternehmung, die Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit.
  • Nutzung der Subventionsreformen, um den Energieverbrauch im Land zu optimieren, die Beschäftigung und die heimische Produktion zu erhöhen und die soziale Gerechtigkeit zu fördern.
  • Verbesserung der Gesamtproduktivität auf der Grundlage der Stärkung der heimischen Humanressourcen durch Ausbildung von Kompetenzen.
  • Förderung der heimischen Produkte, vor allem der strategisch vorteilhaften Produkte und Dienstleistungen und die konsequente Reduzierung der Importabhängigkeit.
  • Bereitstellung von Nahrung und der medizinischen Sicherheit.
  • Verbrauchsmanagement auf Basis der Förderung des Konsums lokaler Produkte, parallel zur qualitativen Verbesserung der heimischen Produkte.
  • Eine umfassende Reform des Finanzsystems, um auf die Bedürfnisse des Landes einzugehen.
  • Gezielte Förderung der Exportgüter und Dienstleistungen durch Rechts- und Verwaltungsreformen sowie die Förderung ausländischer Investitionen im Exportsektor.
  • Erhöhung des Widerstands der Wirtschaft durch regionale und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, vor allem mit den Nachbarstaaten, jedoch auch durch Diplomatie.
  • Verringerung der Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten durch Auswahl von strategischen Käufern und Einbeziehung des Privatsektors bei der Diversifikation der Vertriebskanäle.
  • Steigerung der mehrwertschaffenden Öl- und Gasexporte.
  • Steigerung der strategischen Öl- und Gasreserven sowie Produktion, um einen Effekt auf den internationalen Markt zu haben.
  • Umsetzung von Reformen zur Rationalisierung der Staatsausgaben, Erhöhung der Steuereinnahmen und die Verringerung der Abhängigkeit von Öl- und Gasexporteinnahmen.
  • Erhöhung des Anteils des Nationalen Entwicklungsfonds an den Öl- und Gasexporteinnahmen.
  • Erhöhung der Transparenz  in finanziellen Belangen und das Vermeiden von Aktivitäten, die den Weg für Korruption ebnen.

Präsident Hassan Rouhani reagierte sofort auf Khameneis Dekret und klärte die Aufgaben für verschiedene staatlichen Einrichtungen hinsichtlich der Planung und Umsetzung der beschlossenen Richtlinien. Wie bei den iranischen Regierungsgeschäften üblich, sind eine Reihe von Ausschüssen und Arbeitsgruppen eingerichtet worden, um die erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung der oben genannten Ziele zu treffen.

Einige Analysten betrachten die Verabschiedung des Dekrets als eine Erinnerung des religiös-politischen Staatsoberhauptes, dass die positiven Aussichten bei den Atomverhandlungen nicht die Gesamtanstrengungen des Landes verhindern sollen, seine Anfälligkeit für externe Sanktionen zu verringern. In der Tat glaubt eine Reihe von mächtigen Interessengruppen in Iran, dass die Sanktionen eine Gelegenheit generiert haben, gezielter und effizienter zu werden. An sich kann man den Zeitpunkt und den Inhalt der Initiative als einen Anstoß verstehen, die iranische Industrie und Regierung nicht in eine Mentalität des Imports zurückfallen zu lassen und die Dynamik, die durch die Sanktionen erzeugt wurde, zu bewahren.

Es ist wahr, dass der Ausdruck "Wirtschaft des Widerstands" als iranische Reaktion auf die westlichen Sanktionen entstand, und es ist ebenso richtig, dass einige der oben genannten Ziele gesetzt wurden, um gegen den Druck von außen die iranische Wirtschaft zu stärken. Allerdings wurde der Großteil der oben genannte Ziele bereits in dem 20-Jahres-Ausblick-Dokument (auch bekannt als „Vision 2025“) des Landes definiert, welches ebenfalls verabschiedet und von Khamenei im Jahre 2005 erlassen wurde. "Vision 2025" forderte die iranische Regierung auf, den Weg für Iran zu ebnen, um bis 2025 eine wissensbasierte Wirtschaft und die regionale Spitzenmacht in Wirtschaft und Technologie zu werden.

Was Khamenei veranlasst haben könnte, das neue Dekret zu erlassen, ist das Faktum, dass die Administration des ehemaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad gegenüber den in "Vision 2025" festgelegten Zielen relativ indifferent war. Iran ist - zum Teil aufgrund der verfehlten Politik und teilweise aufgrund der externen Sanktionen - weit von den ursprünglichen Zielen abgekommen. Einige Experten argumentieren, dass allein die Rückkehr auf das Niveau des wirtschaftlichen Status vor der Ahmadinedschad-Ära Jahre dauern wird. Grundsätzlich sollte das Dekret als Anerkennung und Befürwortung von höchster Ebene für die Setzung des Schwerpunktes der neuen Regierung auf eine umfassende Wirtschaftsreform betrachtet werden.

Im Übrigen könnten die meisten genannten Ziele - sowohl im Originaldokument von 2005, als auch in diesem jüngsten Dekret - auch Teil eines Liberalisierungsprogrammes der Wirtschaft sein. Es gibt nur sehr wenige Ziele und Reformvorhaben, die im speziellen ideologischen Kontext Irans stehen. Allerdings hat die Islamische Republik immer ihre einzigartige Terminologie bewahrt. Somit ist "Widerstandswirtschaft" ein Begriff, um die iranische Antwort auf die Sanktionspolitik des Westens zu charakterisieren. Ein genauerer Blick auf die geplante Reformagenda unterstreicht den Wunsch des Regimes, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, die Schwachstellen zu reduzieren und die Vorteile des Wettbewerbs zu fördern – all jene Bereiche, die in den Jahren unter Ahmadinedschad vernachlässigt wurden.

Ganz gleich wie wir diese Politik bezeichnen, der Kern war und bleibt der Aufbau inländischer Kapazitäten. Die iranische Wirtschaft hat das Potenzial, von ihrer derzeit unterdurschnittlichen Leistung zu einer entwickelten Wirtschaft zu werden. Sie verfügt über alle Ressourcen (natürliche, menschliche und geostrategische), die eine Wirtschaft braucht, um eine viel größere Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen. Die mangelnde Verbindungen liegen in den Bereichen der verantwortlichen und rechenschaftspflichtigen Politikgestaltung, der rechtlichen Transparenz und der modernen Institutionen. Das obige Dekret behandelt die meisten dieser Probleme, aber es bleibt abzuwarten, ob es möglich ist, diese Ziele innerhalb der gegenwärtigen politischen Struktur des Landes zu erreichen. Es bleibt die Tatsache, dass die wichtigsten iranischen Interessengruppen dazu neigen, die wirtschaftlichen und institutionellen Prozesse überzupolitisieren und es unmöglich machen, effiziente Reformen umzusetzen. Ein Beispiel hierfür kann man in den Subventionsreformen sehen, die bisher noch nicht die gewünschten Ergebnisse (d.h. eine bessere Verteilung des Einkommens) für die iranische Wirtschaft erbracht haben. Von daher sollte die Regierung unter Rohani versuchen, diese Gelegenheit zu nutzen, um Institutionen zu  schaffen oder einige neu zu definieren (wie die der Unabhängigkeit der Zentralbank), die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Landes über die eigene Amtszeit hinaus verbessern könnten.

Das Dekret der "Widerstandswirtschaft" sollte als ein neuer Versuch der obersten Führung der Islamischen Republik betrachtet werden, die Konturen der iranischen Wirtschaftsdoktrin zu bestimmen. Auch weiterhin ist es ein Spagat zwischen liberalen Wirtschaftsprinzipien und einer islamischen Ideologie, die ihre eigene Rechtfertigung in den Schlüsselbereichen der Politik sucht. Beispielsweise dient der Verweis auf eine "Dschihad-Kultur des Wohlstandes, des Unternehmertums etc." als eine Erinnerung an jenen ideologischen Blickwinkel. Solange jedoch die Ziele der wirtschaftlichen Emanzipation und Entwicklung erreicht werden, werden die Iraner und die Geschäftswelt des Landes nichts dagegen haben, welchen Namen die Politik trägt.


Erstmals veröffentlicht am 24. Februar 2014 bei Al Monitor. Übersetzt von Bahram Sojudi.


Guy Fawkes13-03-14

Wenn Herr Khamenei eine wissenbasierte Wirtschaft wünscht, könnte er mit gutem Beispiel vorangehen und zurücktreten um Platz für ein Staatsoberhaupt mit Abi zu machen.

Dieter14-03-14

Nichts außer Parolen. Hier werden wirtschaftliche Ziele genannt, aber nicht ausgeführt wie diese erreicht werden sollen.

Trotz Milliarden Öleinnahmen ist die Lage der Wirtschft ruinös. Hauptsächlich wegen Korruption und Missmanagement. Als die Mullahs versuchten die Wirtschaft zu privatisieren, haben sich die Mullahs ihre Kinder und die Pasdaran die besten Unternehmen unter den Nagel gerissen.

Im Iran wissen viele, dass der Gottesvertreter auf Erden und sein geistig behinderter Sohn Mojtaba viele Milliarden öffentlichen Geldes für sich abgezwackt haben.

Mullahs sind doch keine Wirtschaftsexperten und das wird seit 35 Jahren im Iran deutlich. Hoffe die Iraner können sich bald aus den Klauen dieser Diebe und Verbrecher befreien.

Reza15-03-14

Wenn ich die Geschichte der letzten 35 Jahre des iranischen Systems so betrachte, stelle ich teilweise vernünftige und ermutigende Versprechungen und Ansätze fest. Sie scheitern alle aber meiner Meinung nach an Unfähigkeit des Systems der Korruption, der Vetternwirtschaft eine klare Absage zu erteilen und die vom System selbst produzierten Scheinmanager, die nur auf Grund ihrer Scheinheiligkeit Posten besetzen, nach hause zu schicken. Und Ahmadinejad war so einer, Was ihn anbetrifft , muss ich sagen, dass er nichts ausser Lügen produziert hat zur Freude des israelischen Verbrecher-Regimes und der USA.

Hoffentlich werden sich bei der sich neu anbahnenden Gelegenheit Vernunft, Wissenschaft, Moral und Würde durchsetzen. Worte sind schön aber um in der Wirtschaftsfragen weiter zu kommen, brauchen wir vor allem Taten und tatkräftige Wissenschaftler.

Ruhollah16-03-14

Ich kann Mullah Khamenei nichts mehr glauben, schließlich verschuldet er selbst zum größten Teil die Situation. Er seine Familie und Freunde sind seit der Revolution sehr reich geworden, während ein großer Teil der Bevölkerung in Armut und Elend lebt.

Wenn Khamenei wirklich helfen möchte, sollte er nach 25 Jahren seiner Amtszeit das Zepter abgeben, und einen Wandel zur wahren Demokratie einleiten, ich fürchte nur dafür ist es viel zu spät. Ihm bleibt wohl nichts anderes als hart zu bleiben sonst würde er das Schicksal von Gaddafi, Saddam und Mubarak teilen.

Orientalist17-03-14

Der Bildungsgrad eines Mujtahids wie Ayatollah Khamenei ist weitaus höher als die eines herkömmlichen Abiturienten.

http://irananders.de/nachricht/detail/696.html

Erich17-03-14

Wenn man russische Medienberichte glauben soll, dann hat Khamenei auch in der "Russische Universität der Völkerfreundschaft" studiert: http://www.aei-ideas.org/2012/02/supreme-leader-ali-khamenei-a-secret-russian-life/

Steffen17-03-14

Die technologischen Fortschritte in Iran gehen vor allem auf die Politik Ayatullah Chameneis zurück. Lesenswert: http://irananders.de/nachricht/detail/406.html

RA17-03-14

@Dieter

- Die Setzung von politischen und wirtschaftlichen Richtlinien besteht darin, Ziele zu setzen, ohne konkret in den Details zu gehen. Das obliegt dann die Ausschüsse und Arbeitsgruppen.

- Iran wird 2015 nach IWF und Weltbank die 18. größte Wirtschaft der Welt sein. Was verstehen Sie unter "ruinös"?

- Bzgl Privatisierung und Pasdaran: http://irananders.de/nachricht/detail/262.html

@Dieter
@Ruhollah

- Sogar die pro-transatlantische und pro-israelische Tageszeitung "Die Welt" räumte kürzlich ein, dass Khamenei sich nicht persönlich bereichert. Was sind also Ihre Beweise bzgl. der Abzweigung vieler Milliarden öffentlichen Geldes?

@Dieter
@Reza

- Das Wirtschaftsministerium wird in Iran traditionell von einem Nicht-Kleriker geführt, der zumindest Wirtschaft im weitesten Sinne studiert hat oder aus dieser Branche kommt. In Deutschland hingen spielt es bei der Postenvergabe kaum eine Rolle, ob die Minister auch eine Expertise über ihren Ressort verfügen, siehe z.B. den derzeitigen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel oder die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. So etwas gilt in Iran als Unding. Allerdings fuhr ja die deutsche Wirtschaft bisher gut mit solchen Laien als Minister. Es zeigt wohl, dass es nicht wichtig ist, ob man Wirtschaft studiert hat, sondern ob man beratungsresistent ist und in der Lage ist, von den vielen Expertenmeinungen über die Wirtschaft die geeignete auszuwählen.

Orientalist17-03-14

Ruhollah, ich würde gerne wissen, was Sie unter "und einen Wandel zur wahren Demokratie" verstehen? Bedeutet es die Machtkonzentration des Kapitals auf Regierung und Medien, wo das Diktat des Mainstreams gilt? Bedeutet es, dass die Stimmen der Wähler für praktisch ungültig gelten, wenn ihre gewählte Partei nicht die 5-Prozenthürde erreicht? Heißt es dann, dass die Regierung nur von einer Minderheit der Wähler gestellt wird, wie so oft in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland? Oder meinen Sie die Aufzwingung westlicher Werte in einer islamischen Gesellschaft?

Guy Fawkes17-03-14

Lieber Steffen, wenn man feststellt, daß der Iran technologisch und wissenschaftlich weiter entwickelt ist als andere islamische Länder, liegt das wohl kaum an der Politik von Herrn Khomeini sondern daran, dass die Familie Pahlavi (wie immer man sie kulturell bewerten mag) das Volk aus dem tiefsten Mittelalter der Kadjarenzeit in der die schiitische Geistlichkeit die einzige "Bildungs"instanz war in die Neuzeit geführt hat. Dass es eine vernünftige (gebildet-islamisch-linke) Zivilgesellschaft gegeben hat, die sich den Luxus einer Revolution leisten konnte ist ironischerweise diesem Umstand zu verdanken.

(von Moderation chirffriert)18-03-14

@Orientalist,

[...]*

Meiner Meinung nach Demokratie ist:

[...]*

*MODERATION: Bitte nur noch über das Thema des Artikels schreiben. Das gilt für alle Diskutanten. Vielen Dank.

Steffen04-04-14

Guy Fawkes,

dem kann ich nicht zustimmen. Vor der islamischen Revolution lag die Analphabetenrate über 50 Prozent. Innerhalb kürzester Zeit nach der Revolution wurde sie dank der Bildungsoffensive der sogenannten Mullahs erheblich unter 50 Prozent gesenkt - trotz des Krieges.

Binam17-04-14

Dass rohani und Co 2005 die Architekten des 20 Jahres ausblicksdokument waren, ist kein Geheimnis. Dass nun der khamenei dieses Programm unter dem Namen widerstandswirtschaft veröffentlicht, kann zweierlei gedeutet werden:
A) auf Wunsch und in Abstimmung mit rohani, damit er wieder bessere Karten in seiner Wirtschaftspolitik ggü den Gardiners erhält
B) mit dem Begriff widerstandswirtschaft den hardliner den Wind aus den Segeln nehmen.

Dass nebenbei sich der Name auch tatsächlich im Inhalt wiederfindet, hat damit zu tun, dass eine gesundere Wirtschaft ja immer die wiederstanskraft erhöhen würde, wenn man das mit einer seiner importorientierten Wirtschaft, wie der ahmadinejad es installiert hatte, vergleicht.





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