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17.10.2013 Knut Mellenthin

Nach den Atomverhandlungen in Genf: Eine Bestandsaufnahme


Die Verhandlungen der Sechsergruppe (G5+1 bzw. E3+3) und Iran in Genf in Oktober 2013

Das Treffen zwischen der G5+1 und Iran in Genf in Oktober 2013.

In den seit zehn Jahren geführten internationalen Streit um Irans ziviles Atomprogramm scheint Bewegung zu kommen. Nach zweitägigen Verhandlungen zwischen hochrangigen Vertretern Irans und der sogenannten Sechsergruppe (G5+1 bzw. E3+3), die am 15. und 16. Oktober in Genf stattfanden, bekundeten alle Beteiligten Zuversicht in die Möglichkeit einer diplomatischen Verständigung und einer grundlegenden Verbesserung der Beziehungen zwischen Iran und dem Westen.

Die iranische Seite präsentierte ein neues Angebot, das Zug um Zug einerseits Schritte vorsieht, die Irans grundsätzlichen Verzicht auf die Entwicklung von Atomwaffen noch glaubwürdiger machen sollen, und das andererseits die Gegenseite, vor allem die USA und die EU-Staaten, zur planmäßigen Aufhebung aller Sanktionen verpflichten würde. In einer gemeinsamen Stellungnahme der EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton, die die Sechsergruppe (G5+1) repräsentiert, und Irans Außenminister Mohammad Dschawad Zarif heißt es, dass die Gespräche „substantiell und vorwärtsweisend“ gewesen seien. Der iranische Vorschlag wird als „wichtiger Beitrag“ bezeichnet, den die Staaten der Sechsergruppe (G5+1) nun „sorgfältig prüfen“ würden. Ein nächstes Treffen wurde für den 7. und 8. November, wiederum in Genf, vereinbart.

Man sollte bei allem „vorsichtigen Optimismus“ aber nicht aus den Augen verlieren, dass Iran mit sechs oder sieben Resolutionen des UN-Sicherheitsrats konfrontiert ist, von denen vier mit umfangreichen Sanktionskatalogen verbunden sind. Ohne förmliche Aufhebung dieser Resolutionen wird voraussichtlich auch das Netzwerk der von einzelnen Regierungen verhängten sogenannten einseitigen Sanktionen nicht ernsthaft aufgebrochen werden können. Die Resolutionen des Sicherheitsrats wiederum könnten nur aufgehoben werden, wenn keine der westlichen Veto-Mächte USA, Großbritannien und Frankreich Einspruch erhebt.

Mit welchen Forderungen ist Iran durch UN-Resolutionen gegenwärtig konfrontiert?

1. Iran müsste sämtliche mit der Uran-Anreicherung jeden Grades verbundenen Tätigkeiten, nicht nur auf dem Gebiet der Produktion, sondern auch dem der wissenschaftlichen Forschung, einstellen. Das im englischen Text der Resolution verwendete Wort ist „suspend“, das nur eine vorübergehende Unterbrechung, aber nicht einen dauerhaften Verzicht auf diese Tätigkeiten bedeutet. Trotzdem wird das von Seiten der USA und ihrer Verbündeten meist in diesem Sinn fehlinterpretiert.
 
2. Iran soll alle „schwerwasserbezogenen Aktivitäten“ einstellen. Auch da steht wieder nur das Wort „suspend“. Gemeint ist hauptsächlich der noch im Bau befindliche Schwerwasser-Reaktor bei Arak. Er sollte ursprünglich schon 2009 fertiggestellt werden. Die derzeitige iranische Planung scheint Mitte 2014 vorzusehen. Den UN-Resolutionen zufolge ist Iran aufgefordert, die Bauarbeiten an dem Rektor zu „unterbrechen“ (discontinue). Es müsste darüber hinaus die bereits laufende Produktion von schwerem Wasser, die ebenfalls in Arak stattfindet, einstellen (suspend).

Weder die Forderung, dass Iran irgendeine Anlage demontieren müsste, noch dass es bereits angereichertes Uran außer Landes schaffen müsste, steht genau betrachtet in den Resolutionen des Sicherheitsrats. Auch das wird, anscheinend systematisch, vor allem in den USA und Westeuropa falsch interpretiert.
 
3. Iran darf nicht an der Entwicklung ballistischer Raketen, „die in der Lage wären, Nuklearwaffen zu transportieren“, arbeiten. Diese Einschränkung scheint indessen bedeutungslos, da dieselbe Resolutionen des Sicherheitsrats Iran zugleich jeden Raketenabschuss, „bei dem die Technologie ballistischer Raketen verwendet wird“, verbieten.

4. Iran soll sich „vollständig und ohne Verzögerung“ an den sogenannten modifizierten Code 3.1 der Zusatzvereinbarung zum Überwachungsabkommen mit der internationalen Atomenergiebehörde IAEA halten. Das bedeutet in der Praxis erheblich vermehrte Kontrollmöglichkeiten der Behörde und ihrer Inspektoren. Dieser Zusatzprotokoll ist kein Bestandteil des Atomwaffensperrvertrags (NPT), sondern rein freiwillig. Viele Staaten haben sie nicht unterschrieben. 

5. Iran soll der IAEA „ohne Verzögerung Zugang zu allen Standorten, Ausrüstungsgegenständen, Personen und Dokumenten“ gewähren, die die Behörde besichtigen, befragen oder lesen will. Gemeint sind Objekte und Personen, die mit den Kompetenzen der IAEA nichts zu tun haben. Denn die Befugnisse der IAEA sind lediglich auf den Umgang mit radioaktivem Material beschränkt. Was das angeht, sind die Kontrollen der Behörde in Iran wahrscheinlich ohnehin schon wesentlich intensiver als in anderen Ländern. Bei der zusätzlichen Forderung der Sicherheitsratsresolutionen geht es beispielsweise um militärische Produktions- und Forschungskomplexe wie Parchin, die mit Irans Atomprogramm nichts zu tun haben.

Die vorigen Verhandlungen

Was zuletzt vor dem Genfer Treffen in den Gesprächen zwischen Iran und der Sechsergruppe (G51+1) verhandelt wurde, waren „vertrauensbildende Maßnahmen“ im Rahmen einer „Zwischenlösung“. Das hätte jedoch bedeutet: Der gesamte übrige, in den Sicherheitsratsresolutionen festgelegte Forderungskatalog bliebe unverändert auf dem Tisch, auch wenn Iran eine sogenannte Zwischenlösung akzeptieren würde. Mit einer solchen wäre daher auch keine wesentliche Entlastung von den internationalen oder gar von den einseitigen Sanktionen verbunden.

Die G5+1 hatte im Mai 2012 eine „Zwischenlösung“ vorgeschlagen,  die sich auf die zwanzigprozentige Anreicherung von Uran konzentrierte, die in Iran erst seit Februar 2010 praktiziert wird. Das Material wird benötigt, um Brennplatten für den Betrieb eines Reaktors in Teheran herzustellen, in dem Isotope für medizinische Zwecke, hauptsächlich für die Behandlung von Krebspatienten, produziert werden. Wie alle iranischen Anlagen, in denen mit radioaktiven Stoffen gearbeitet wird, steht auch dieser Reaktor unter ständiger Kontrolle der IAEA. Die Iraner haben diese Anreicherungsstufe überhaupt nur gezwungenermaßen aufgenommen, da es ihnen wegen des Drucks der USA nicht möglich war, die Brennplatten auf dem internationalen Markt zu kaufen, wie sie es im Sommer 2009 bei der IAEA ordnungsgemäß beantragt hatten.

Der im Mai 2012 präsentierte Vorschlag der G5+1 sah vor,  dass Iran die Anreicherung auf 20 Prozent einstellt und das gesamte bisher auf diesen Grad angereicherte Uran abliefert. Zum dritten sollte Iran seine erst im Dezember 2011 in Betrieb genommene unterirdische Anreicherungsanlage in Fordo schließen, die allerdings schon seit der Inbetriebnahme unter der Aufsicht der IAEA steht. Sie ist mit konventionellen militärischen Mitteln kaum zu zerstören, da sie in einem Tunnelsystem rund 80 Meter tief unter einem Berg liegt. Daher ist sie eine Art iranischer Versicherung gegen militärische Überfälle der USA und Israels.

Im Gegenzug sollte Iran medizinische Isotope geliefert bekommen und technische Hilfe bei der Modernisierung des Teheraner Reaktors erhalten, der noch aus den frühen 1970er Jahren stammt. Außerdem hatten die USA sich angeblich bereit erklärt, Iran Ersatzteile für seine überalterten  amerikanischen Passagierflugzeuge zu liefern.

Im Februar dieses Jahre präsentierte die G5+1 eine veränderte Version dieser „Zwischenlösung“. Es blieb zwar bei der Forderung nach Einstellung der zwanzigprozentigen Anreicherung, aber von dem bisher produzierten Material soll Iran so viel behalten dürfen, wie zur Herstellung des Brennstoffs für den Teheraner Reaktor erforderlich ist. Statt Schließung der Anlage in Fordo wird lediglich verlangt, dass Iran die Produktion dort einstellt. Nicht  näher bezeichnete technische Maßnahmen sollen gewährleisten, dass die Iraner gegebenenfalls mehrere Monate brauchen würden, um Fordo wieder in Betrieb zu nehmen, falls sie sich dazu entschließen würden.

Als Gegenleistung bietet die G5+1 an, dass einige nicht näher bezeichnete Sanktionen – aber keine wirklich bedeutenden – aufgehoben oder ausgesetzt werden könnten. Erwähnt wurden in diesem Zusammenhang konkret nur die erst vor wenigen Monaten in Kraft getretenen US-amerikanischen Bestimmungen, die Iran den Kauf von Gold zur Abwicklung von Teilen seines Außenhandels erschweren sollen. Außerdem soll die G5+1 in Aussicht gestellt haben, dass weder der UN-Sicherheitsrat noch die Europäische Union neue Strafmaßnahmen beschließen würden, sofern und so lange Iran die „Zwischenlösung“ akzeptiert.

Das neue iranische Angebot

Das neue iranische Angebot – dessen Inhalt wegen vereinbarter Vertraulichkeit bisher nicht bekannt ist – sieht offenbar an Stelle der für Iran im Grunde perspektivlosen „Zwischenlösungs“-Ideen einen mehrstufigen Gesamtplan vor. Ziel ist, dass Iran tatsächlich und zuverlässig vom Druck sowohl der Sanktionen als auch der ständigen Kriegsdrohungen befreit wird. Das setzt allerdings bei den USA und deren Verbündeten die Einsicht voraus, dass sie sich mit ihrer bisherigen Konfrontationsstrategie in ebenso unproduktiver wie gefährlicher Weise verrannt haben und dass es Zeit für einen geordneten Rückzug ist. An iranischer Bereitschaft, der Gegenseite gesichtswahrende Konditionen für diese Kurskorrektur zu gewährleisten, wird es hoffentlich nicht fehlen. Lautes Triumphgeschrei würde in dieser Situation nur stören.

Ohnehin ist die Frage, ob US-Präsident Barack Obama, selbst wenn man ihm allerbesten Willen unterstellen würde, eine Verständigung mit Iran gegen die aggressive, stark von israelischen Wünschen beeinflusste Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses durchsetzen könnte. Und darüber sollten sich alle Beteiligten klar sein: Ohne Zustimmung des Kongresses können gerade die für Iran beschwerlichsten Sanktionen nicht aufgehoben werden. Daher steht die Europäische Union (EU) umso mehr in der Verantwortung, wieder eine souveräne Iran-Politik zu betreiben, die sie bereits während der Amtszeit des iranischen Präsidenten Mohammad Khatami betrieben hatten. Damals war ihr iranischer Verhandlungspartner der jetzige Präsident Hassan Rouhani. Das sollte für Optimismus sorgen.


Knut Mellenthin kommentiert regelmäßig den internationalen Streit um das iranische Nuklearprogramm und ist Autor der Tag-für-Tag-Chronologie des Holocaust, für die er 2007 den Alternativen Medienpreis erhielt.


Esplance17-10-13

Eine sehr gute Zusammenfassung, vielen Dank!

Kurt17-10-13

In der Tat sollten die Iraner ihre Energie in der Beziehung mit der EU investieren. Obama ist schwach und kann nicht liefern.

Ulrike17-10-13

Knut Mellenthin ist ein ausgewiesener Experte in diesem Gebiet. Schön, seine Texte hier in voller Länge lesen zu können.





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