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31.07.2013 Nabi Sonboli

Zehn Wege, um Irans Handlungslogik zu verstehen


Koran

Der Qur'an gilt in der Islamischen Republik Iran als Richtschnur für die Politik.

Seit die nuklearen Anstrengungen der Islamischen Republik Iran der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, gibt es einen allgemeinen Konsens darüber, wie die iranische Handlungslogik im Bezug von Atomwaffen aussieht. Im Folgenden geben wir einen Artikel vom iranischen Politikwissenschaftler Nabi Sonboli wieder, der sich darin diesem Thema widmet und eine andere - im Westen bislang unterschätzte – Perspektive aufzeigt.

Gemäß der Bedrohungsanalyse („Worldwide Threat Assessment“) der US-Nachrichtendienstgemeinschaft (United States Intelligence Community IC, ein Zusammenschluss von 16 Nachrichtendiensten der USA, Anm. d. Red.), veröffentlicht am 12. März, ist Irans atomare Fähigkeit eine Realität: Iran hat die Fähigkeit, Atomwaffen herzustellen, und dies in die Tat umzusetzen ist eine Frage des politischen Willens. Der Bericht sagt auch, dass die iranische Regierung ein rationaler Akteur ist: „Wir beurteilen, dass Irans Handlungslogik hinsichtlich der Atompolitik durch einen Kosten-Nutzen-Ansatz geführt wird ..."

Was jedoch die Vereinigten Staaten verstehen müssen ist, dass die iranischen Führer eine religiöse Rationalität statt einer säkularen Rationalität befolgen.

Irans Ayatollah Khamenei hat ein religiös-verbindliches Rechtsgutachten (Fatwa) gegen Atomwaffen erlassen und ihren Einsatz als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet (und neben dem Einsatz auch den Erwerb, die Herstellung und den Besitz von Atomwaffen als verboten erklärt, Anm. d. Red.). Doch der Diskurs der internationalen Gemeinschaft ist säkular und folglich haben amerikanische Analysten und Strategen versucht, Irans Entscheidungsfindung und Verhalten durch eine säkulare Kosten-Nutzen-Analyse zu verstehen.

Religiöse Rationalität unterscheidet sich von einer säkularen Rationalität. Und einen Dialog zwischen den beiden Diskursen herzustellen ist nicht einfach, aber es ist möglich. Der Großteil der Opposition gegen das iranische Atomprogramm stammt von den konservativen Teilen der westlichen Gesellschaften, die religiöser und vertrauter mit religiösen Diskursen und Verpflichtungen sind. Die Säkularisierung der Religion vollzog sich allerdings auch im Westen. Es ist im diesen Sinne möglich, auch eine Fatwa im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften und verbindlichen internationalen Abkommen zu säkularisieren.

Aus den folgenden Gründen werden die westlichen Staaten nicht profitieren, wenn sie weiterhin Irans religiös-rationalen Ansatz zu internationalen Fragen missverstehen. Es ist im besten Interesse der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, Ayatollah Khameneis Fatwa gegen Atomwaffen als klare Manifestation religiöser Rationalität ernst zu nehmen:

1. Im Islam ist religiöse Legitimität weitaus wichtiger als säkulare Legitimität. Wenn die Herstellung und der Einsatz von Atomwaffen als haram (verboten) betrachtet werden, hat der Verstoß gegen die Fatwa Folgen, auch wenn alle anderen Gesetze ihre Anwendung erlauben.

2. Nach religiöser Rationalität sind Kosten und Nutzen jeglicher Handlung nicht auf das Diesseits beschränkt, sondern haben ihre Auswirkungen auch auf das Jenseits. Religiöse Menschen betreiben häufiger eine Kosten-Nutzen-Analyse. Sie glauben an einen Gott, der ewig ist und wissen, dass sie im Jenseits für all ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Religiöse Pflichten machen die Gläubigen für ihre Handlungen vor Gott verantwortlich, selbst wenn ihr Umfeld über ihre Taten nicht kundig ist.

3. Die größte Sorge in Bezug auf Massenvernichtungswaffen, die oft aufgeworfen wird, ist die Möglichkeit, sie gegen unschuldige Menschen einzusetzen. Laut dem Koran ist das Töten einer einzigen unschuldigen Person gleichbedeutend mit dem Töten der ganzen Menschheit. Muslime dürfen keine unschuldigen Menschen töten, auch wenn andere es tun. Dies kann am besten am Iran-Irak-Krieg veranschaulicht werden, als Iran nicht mit dem Einsatz chemischer Waffen Vergeltung übte, auch als das irakische Regime fortfuhr, sie gegen die Iraner einzusetzen.

4. Wie die Bedrohungsanalyse feststellt, ist die Hauptsorge um Irans künftige Absichten und Entscheidungen. Die Fatwa ist bindend und schränkt Irans künftige Entscheidungen ein. Die Fatwa wurde von der wichtigsten religiösen und politischen Persönlichkeit im iranischen Staat erlassen. Daher ist seine Fatwa für ihn und auch andere Entscheidungsträger in der Islamischen Republik bindend. [Eine Fatwa vom religiös-politischen Oberhaupt (im Fachjargon: Wilayat al-Faqih), die politische, militärische oder staatliche Angelegenheiten behandelt, ist gemäß der weltanschaulichen Doktrin der Islamischen Republik Iran für jeden Muslim und selbst für die höchsten religiösen Autoritäten (im Fachjargon: Maraje-e Taqlid) religiös verbindlich, Anm. d. Red.]

5. Die Fatwa gegen Atomwaffen ist nicht bedingt von Zeit und Umständen. Sie basiert auf dem Prinzip, dass das Töten unschuldiger Menschen religionsrechtlich verboten ist. [Diese Fatwa gehört nicht zu den wenigen variablen Fatwas, die entsprechend der Umstände modifiziert werden können, da Atomwaffen nie unschuldige Menschen von Kämpfern unterscheiden. In Wirklichkeit ist das Ziel von Atomwaffen unschuldige Menschen gezielt zu töten und somit unterscheidet sie sich grundlegend von anderen konventionellen Waffensystemen, Anm. d. Red.]

6. Für eine religiöse Gesellschaft ist Pflichterfüllung Gott gegenüber wichtiger als die Verpflichtung gegenüber dem Staat. Mit dieser Fatwa gehen die Gläubigen eine Verpflichtung zu Gott ein. Es ist nicht etwas, das sich von einer Regierung zur anderen ändert. Diese Fatwa hat einen Präzedenzfall geschaffen, den künftige Führungskräfte nicht außer Acht lassen können. [Da der Wilayat al-Faqih über die Regierung der Islamischen Republik Iran steht, können die jeweiligen Regierungen nie diese Fatwa ändern und sind als Gläubige ohnehin an ihr gebunden, Anm. d. Red.]

7. Die Fatwa kann auch andere religiöse Führer darin bestärken, ähnliche Verdikte zu erlassen. [Im Schiitentum gibt es keine einzige religiöse Autorität, die Massenvernichtungswaffen erlaubt, auch nicht Ayatollah Mesbah Yazdi, Anm. d. Red.] Die Verbreitung der entsprechenden Literatur und der religiösen Rationalität kann zu einer friedlicheren Welt beitragen. Die Fatwa gegen Massenvernichtungswaffen kann potentiell dazu verwendet werden, den Nahen Osten und sogar die ganze Welt frei von Massenvernichtungswaffen zu machen. Aus dieser Sicht ist es im besten Interesse der internationalen Gemeinschaft, die Fatwa ernst zu nehmen und ihre Legitimität anzuerkennen.

8. Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch einen terroristischen Akt ist eine wichtige Sorge, die jedes Land der Welt hat. Durch die Förderung und Verbreitung religiöser Literatur gegen die Herstellung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen ist es möglich, sowohl religiöse Gruppen davon abzuhalten sich ihnen zuzuwenden, als auch Menschen daran zu hindern, sich in religiösen Gesellschaften solchen Gruppen anzuschließen und zu unterstützen. Auf diese Weise stärken wir die Zivilgesellschaften, um Terrorismus und Extremismus zu kontrollieren und zu verhindern.

9. Wie die Erfahrung der letzten 10 Jahre zeigt, wird sich Iran keiner Macht oder Gewalt unterwerfen. Die Fatwa ist eine iranische Initiative und es ist viel einfacher für die USA und die EU, die Fatwa zu respektieren und damit Iran aufzufordern, mehr Verpflichtungen und Transparenz zu akzeptieren, was sein Atomprogramm betrifft.

10. Die gleiche religiöse Rationalität, die die Produktion und Anwendung von Massenvernichtungswaffen ablehnt, erlaubt seinen Anhängern nicht, sich weltlichen Mächten zu unterwerfen. Der iranische Widerstand basiert auch auf religiöser Rationalität und diese wird sich nicht ändern.

Wenn die USA und die EU wirklich über das iranische Atomprogramm besorgt sind, sollten sie die weitere Feindseligkeit gegen Iran, in Form der Auferlegung unnötiger Kosten auf iranische und westliche Gesellschaften durch Wirtschaftssanktionen, einstellen. Der Hauptgrund gegen die Verbreitung von Atomwaffen, welches angegeben wird, ist ja gerade ihr Potential, unschuldige Leben zu nehmen.

Vielleicht sollte folgende Frage gestellt werden: Was ist der Unterschied zwischen dem Töten unschuldiger Menschen durch Massenvernichtungswaffen und dem Töten unschuldiger Menschen durch Wirtschaftssanktionen? Das ist eine Frage, die die internationale Gemeinschaft beantworten muss.


Erstmals veröffentlicht bei Al-Monitor am 31. März 2013. Übersetzt von Yaz Theder. Anmerkung der Redaktion von Shayan Arkian.


(von Moderation chiffriert)04-08-13

Thema neue Präsidentschaft - Rouhanis neues Kabinett:
[...]*

*MODERATION: Bitte keine sachfremden Beiträge posten. Danke sehr.

g_h09-08-13

Alles, was der Iran tut, ist durch den NPT und das mit der IAEA abgeschlossene CSA gedeckt. Ein Atomwaffenprogramm ist nicht nachgewiesen worden, obwohl man es kaum unter einem Sack Pistazien verstecken kann.

Mehr ist nicht nötig zu wissen.

siglinde10-08-13

Guter Text, danke.
Aber im Grunde genommen dürfte es jeden Experten klar sein, dass so eine Fatwa eines islamischen Landes mit islamischer Staatsordnung ernst zu nehmen ist. Und es gibt da auch keine Missverständnisse, denn jede andere Fatwa, die irgendwie beweisen könnte, dass die Iraner böse sind, wird auch ernst genommen, wie zum Beispiel die Fatwa gegen Rushdie.
Man könnte annehmen, dass einige Zionisten meinen, dass diese Fatwa aus dem Grunde nicht ernst gemeint ist, weil nach ihrem Verständnis vom Talmud jeder Nichtjude belogen werden darf, ohne das es eine Sünde darstellt. Man geht also davon aus, was man selber tut...
Fazit bleibt, dass man dem Iran einfach Böses andichten will, weil der Iran eben nicht nach der Pfeife der US Zionisten tanzt.

Jens10-08-13

Ich wünschte nur, bei uns würde man den Atomwaffensperrvertrag und die UN-Charta so ernst nehmen, wie die Fatwa im Iran zum Thema Atomwaffen ernst genommen wird. Eine vorbildliche Prinzipientreue, die durch das Beispiel der Chemiewaffen gegen den Iran auf eine bittere Art und Weise deutlich wird. Schlimm, wie nach all dem mit dem Land umgegangen wird.

Lori23-03-15

Interview mit Shayan Arkian​: Warum der Westen die Islamische Republik Iran nicht versteht: http://www.promosaik.com/interview-von-promosaik-mit-shayan-arkian-warum-der-westen-die-islamische-republik-iran-nicht-versteht/





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