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16.05.2013 Dr. Armin Triebel

Stärkung der iranischen Zivilgesellschaft unter dem Vorzeichen der Atomproblematik


Evangelische Akademie Loccum Iran-Veranstaltung

In der beschaulichen niedersächsischen Kleinstadt Loccum wurde eine dreitägige Tagung mit offiziellen Vertretern Irans abgehalten, was zu einem massiven, sogenannten „Shitstorm“ führte.

Die Evangelische Akademie Loccum hatte hinter den Haupttitel dieser dreitägigen Tagung „Neue Politik für den Mittleren Osten“ vom 17. - 19. April 2013 kein Ausrufezeichen, aber auch kein Fragezeichen gesetzt. Dafür ließ der Tagungsleiter, Dr. Marcus Schaper, jede Menge Fragen folgen: Wie kann die iranische Zivilgesellschaft gestärkt, wie kann die atomare Aufrüstung Irans verhindert werden? Könnte eine Entspannungspolitik gegenüber Iran sowohl eine neue Verhandlungsdynamik in den Atomgesprächen entfachen als auch die Demokratiebewegung in Iran stärken? Wie kann das iranisch-deutsche Verhältnis durch zivilgesellschaftlichen Austausch („Track II–Diplomatie“) verbessert werden? Wie eigenständig kann und darf die deutsche Politik Akzente setzen, die neue Gesprächskanäle und -räume öffnen könnten? Erreicht die westliche Sanktionspolitik ihre Ziele, oder ist sie kontraproduktiv? Experten, die Erfahrung mit Austauschprozessen haben, sollten an nicht exponiertem Ort und in geraumer Entfernung von der Tagespolitik nachdenken, Überlegungen äußern und mit einigen am politischen Prozess Beteiligten diskutieren.

Der Plan der Akademie war mutig. Der Tagungsleiter verschwieg den Druck, dem er und die Akademie im Vorfeld ausgesetzt waren, nicht — von Geldentzug bis zu Telefonterror. Der Versuch, erstarrte Frontlinien aufzubrechen, ist gerade im Fall der deutsch-iranischen Beziehungen notwendig, wie die Gesprächsverweigerung der Protestierer, die die Akademie vergeblich eingeladen hatte, zeigt. Dr. Schapers Warnung, mit der er seine einführenden Worte abschloss („Wo das Gespräch unterbleibt, wächst die Gewalt“), war also ein passendes Motto gerade für diese Tagung. Denn im Fall Irans hat sich die westliche - zumal die deutsche - Öffentlichkeit denkfaul und selbstgefällig in oberflächlichen Beobachtungen und verzerrten Feindbildern eingerichtet.

Die einführenden Referate versuchten daher, Hintergründe und Differenzierungen zu liefern, denen man größere Publizität wünschen möchte. Michael Lüders machte einige historische Prämissen deutlich, ohne die die gegenwärtige Politik Irans nicht zu verstehen ist. Die westliche Öffentlichkeit ignoriert weitgehend die Realität und das lange Gedächtnis einer Gesellschaft, für die die Geschichte einer 6000jährigen Zivilisation konstitutiver Bestandteil ihrer Identität ist. Sie unterschätzt die Erfahrungen, die Iran in der neueren Geschichte als Opfer der westlichen Kolonialmächte gemacht hat. Was hierzulande auch nicht wahrgenommen wird, sind die komplizierten Interessenverwerfungen in der iranischen Öffentlichkeit und Innenpolitik, denen der Fernsehmoderator Kamran Safiarian vom ZDF ein Gutteil seines Referates widmete. Dr. Walter Posch (Stiftung Wissenschaft und Politik) ging der Frage nach, was die Veränderungen im Staatsapparat für die demokratische Mobilisierung bedeuten und inwieweit das Feindbild USA eine Machtgrundlage für die iranische Politik liefert. Zu der speziellen Frage der "Konsolidierung der iranischen Staatsführung durch außenpolitische Herausforderungen" hielt der Politologe Adnan Tabatabai einen Vortrag.

Die Diskussion mit den iranischen Verantwortungsträgern

Höhepunkt der Tagung waren zwei Gesprächsrunden zwischen westlichen und iranischen Akteuren zu der Thematik „In welchem Umfang kann ein kooperationsorientierter Kurs gegenüber dem Iran eingeschlagen werden?“ Im ersten Podium stellte Dr. August Hanning, der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der jetzt Berater im Institute for Strategic Dialogue in Berlin und einer der Leiter der Pressure-Group „United Against Nuclear Iran“ ist, lakonisch fest, im Westen gebe es „ein begründetes Misstrauen“ gegenüber Iran, der die IAEA daran gehindert habe, zu sehen, was der Westen habe sehen wollen. Die Lösung der Atomfrage sei doch einfach: Wenn Iran die Urananreicherung beende, „können wir über eine Erleichterung der Sanktionen diskutieren“. Diese Aufforderung verband er mit der düsteren Andeutung, für Iran „laufe die Zeit ab“. Neben Hanning saß Prof. Dr. Kazem Sadjadpour von der iranischen Diplomatenkaderschmiede „School of International Relations“. Dieser trug eine breit angelegte Skizze der iranischen Situationswahrnehmung vor, zitierte nebenbei Aristoteles und machte unter dem Strich deutlich, dass die zivile Atomtechnologie ein Recht sowie ein nationales Symbol des Iran ist. Bedrohlich erscheine sie nur auf dem Hintergrund der negativen Vorurteile des Westens. Außerdem wurde in seinen Worten das tiefe Misstrauen gegen den Westen deutlich, das andererseits in Iran herrscht. „Je mehr wir gegeben haben, desto mehr hat man verlangt.“

Das zweite Podium war mit drei politischen Routiniers besetzt, nämlich mit dem ehemaligen deutschen Botschafter in Teheran, Paul Freiherr von Maltzahn, dem derzeitigen Botschafter der Islamischen Republik Iran in Deutschland, Ali Reza Sheikh Attar, und dem US-Amerikaner Charles King Mallory IV, dem langjährigen Direktor des „Aspen Institutes Deutschland“. Der iranische Botschafter hob in seinem Vortrag die Jahrtausende alte Hochkultur unter dem Vorzeichen eines religiösen Monotheismus in Iran, 200 Jahre gute Beziehungen zu Deutschland, aber auch die neokolonialen Einflussnahmen auf Iran durch andere Staaten hervor. Er beklagte die Undankbarkeit des Westens angesichts der Unterstützung, die Iran z. B. in Afghanistan-Krieg geleistet habe. In einem Zehn-Punkte-Katalog für die Fortsetzung von Gesprächen, den Sheikh Attar darlegte, dominierten die Vorschläge, die auf Anerkennung und Respekt hinausliefen. Die nächsten Schritte zur Verbesserung der Beziehungen zu den USA sollten unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten von Interessen folgen. Charles King Mallory IV und Freiherr von Maltzahn zeigten sich nachdenklich. Von Maltzahn räumte ein, dem Vertrauensvorschuss, den Iran Deutschland entgegengebracht habe, sei die Bundesrepublik „nicht immer“ gerecht geworden. Am Ende skizzierte King Mallory Komponenten für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Iran „in einem überschaubaren Zeitraum“. Diesem Ausblick korrespondierte die Zusage, die man im weiteren Gesprächsverlauf von Botschafter Sheikh Attar hörte: „Ein Gespräch mit den USA ist kein Tabu für uns.“

Fazit der Tagung

Ein durchgehender Tenor der Tagung war, dass viele Probleme der gegenwärtigen Politik auf Wahrnehmungsfehler des Westens zurückgehen. Ein Beispiel ist die in den USA verbreitete Erwartung, man könne Iran zur Kapitulation zwingen. So nannte Safiarian die Politik der USA gegenüber Iran eine Geschichte der verpassten Chancen. Dem stimmte Jerry Sommer vom Bonner International Center for Conversion zu. Er mahnte die deutschen Medien, kritischen Fragen an die westliche Politik Raum zu geben.

Insgesamt hinterließen die Referenten und die Diskussionen den Eindruck, dass bei Berücksichtigung des innen- wie außenpolitischen Umfeldes die Atomfrage ein eher untergeordnetes Problem darstellt. Iran werde mit dem Status einer potentiellen Atommacht zufrieden sein — wie Deutschland oder Brasilien. US-Verteidigungsminister Leon Panetta wurde zitiert, der auf die Frage, ob Iran Atomwaffen entwickelt, mit einem klaren „Nein“ geantwortet habe. Prof. Dr. Götz Neuneck vom "Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" der Universität Hamburg sah die iranische Atompolitik zwar kritisch, riet aber von jeder Sanktionspolitik ab, weil Sanktionen mit ihrer Logik als angedrohter Strafe kontraproduktiv seien und die zivilgesellschaftliche Debatte in Iran beschädigten. Er sprach sich für eine „KSZE“ des Nahen und Mittleren Ostens aus. In diesem Zusammenhang sagte Clemens Ronnefeldt, Friedensreferent des Internationalen Versöhnungsbundes, man dürfe sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, Iran sei zu einer Anerkennung Israels nicht bereit — 2003 war er es, damals habe sich die US-Administration gesperrt.

Was folgt aus diesen Diagnosen für die westliche Politik Iran gegenüber?

Wenn zivilgesellschaftliches Handeln beinhaltet, einander zuzuhören und im Gespräch Perspektiven zu entwickeln, hat sich mit dieser Tagung die Evangelische Akademie um die Zivilgesellschaft verdient gemacht. Dialog erfordert einen langen Atem. Zum Beispiel vergingen – worauf der iranische Botschafter selbst hinwies – in den 1990ern nach dem auf Initiative von Prof. Udo Steinbach in Gang gesetzten Wissenschaftler-Dialog zwischen Deutschland und Iran einige Jahre bis schließlich der damalige, im Westen als konservativ geltende Chef der Judikative Irans eine Kommission ernannte, die die Aussetzung von Steinigungen bewirkte. Die Wissenschaft müsse wieder ermuntert werden, den Dialog mit den islamisch geprägten Gesellschaften zu führen, ohne sich von der Politik instrumentalisieren zu lassen. Wenn der Öffentlichkeit auch manchmal das Verständnis für das akademische Hin- und Herwenden von Begriffen fehle, könnten Wissenschaftler es damit doch fördern, andere Denkweisen zu verstehen und sie zur Entwicklung übergreifender Perspektiven zu verwenden. Dialog bestehe im gegenseitigen Lernen voneinander. So könnte sich eine neue Politik vorbereiten.


Dr. Armin Triebel ist Historiker, lehrt und arbeitet in verschiedenen interdisziplinären Zusammenhängen und ist Vorsitzender des Sozialwissenschaftlichen Studienkreises für Interkulturelle Perspektiven (SSIP e. V.) in Berlin.


Besucher der Tagung16-05-13

Ich war Besucher der Veranstaltung und muss sagen, dass die Rede des iranischen Botschaftes mir ausgesprochen gut gefallen hat. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich zum ersten Mal einen iranischen Offiiziellen live hören dürfte und mein Bild vom Iran durch die hiesigen Medien ohnehin negativ gefärbt war oder vermutlich immer noch ist.

Michael Lüders hatte Recht, wenn er sagt, dass diejenigen, die solche Veranstaltungen zu verhindern versuchen, das Land dämonisieren wollen, um es ohne signifikanten Widerstand bekriegen zu können.

Danke an das Akademie von hier aus!

Heike16-05-13

Ich finde diese ständigen Boykotteaufrufe gegen Iran einfach kindisch und feige. Wenn man gegen den Iran Kritik üben will, dann sollte man doch iranische Verantwortungsträger dazu einladen, diese Kritik zu hören, anstatt sie auszuladen.

Ja, das stimmt wahrscheindlich, dass diese hirnlose Fraktion den Iran nur dämonisieren will, um den Krieg gegen das Land leichter führen zu können. An dieser Stelle Respekt an der Akademie!

Berliner16-05-13

Vielen Dank an Herrn Dr. Triebel für den Bericht.

Leider konnte ich an der Veranstaltung nicht teilnehmen, aber ich habe die Reden des iranischen Vertreters schon öfters in Berlin hören dürfen und es wäre zu wünschen, dass seine Rede mehr Öffentlichkeit erhält.

@Besucher

Können Sie eine kurze Zusammenfassung seiner Rede hier schreiben?

Besucher der Tagung16-05-13

An Berliner:

Den besten Teil seiner Ansprache fand ich, wie er selbstbewusst über Menschenrechte redete, aber dennoch implizit einräumte, dass der Iran vom Westen inspiriert werden kann, weil die Steinbach'sche Dialogveranstaltungen mit dem Iran dem Justizleiter berichtet worden sind und er zu diesem Anlass eine Kommission gründete, die zur Neubewertung von Steinigungen führte.

Im Übrigen war auch die Rede von Walter Posch sehr kenntnisreich.

Alles Westen oder was?16-05-13

Naja, in der Essenz sind doch solche Veranstaltungen wie die in Loccum doch wieder nichts anderes als der Versuch Iran für westliche Werte zu missionieren.

Man stelle sich vor im beschaulichen Ramsar findet eine dreitägige Deutschland-Tagung der Islamischen Akademie Ramsar statt und der deutsche Botschafter wird eingeladen, um ihn zu sagen, dass Deutschland doch bitte endlich die iranische Werte implementieren soll, sie sind ja schließlich von Gott und nicht von einer UN-Organisation, das ein Spielball der Großmächte ist.

Und dann hocken dort die ganzen Muselmänner drei Tage lang und überlegen sich drei Tage, wie sie mit Zivilgesellschaft Deutschland missionieren könnten, schließlich dursten ja die Deutschen aufgrund von kaputten Familien, Einsamkeitssyndromen und rapiden psyschischen Krankheiten nach moralischen ewig gültige Werte.

Eifel16-05-13

Ich habe von einem Teilnehmer gehört, dass der Vortrag von Walter Posch sehr klasse gewesen sein soll. Er sagte, es gab weder 2009 einen Aufstand der Grünen noch wird es 2013 einen Aufstand der Gleichen geben.

Anonym20-05-13

Was sollen solche bewirken? Wird damit den Iranern, die der Diktatur der Mullahs satt sind geholfen? Hört dadurch die Unterdrückung weiter Teile der Bevölkerung auf? Werden Neda oder Sihrab wieder lebendig? Dialog mit Verbrechern oder ihren Vertretern werden nichts bringen. Lügen gehört zum Handwerkszeug dieser Vertreter des Regimes? Außerdem das System der islamischen Republik fußt auf die Ideologie des Islam und ist damit nicht reformierbar, also was genau erhofft man sich von solchen Veranstaltungen, wenn noch nicht mal echte Repräsentanten des iranischen Volks da sind? Hört auf zu heucheln...

Rahim22-05-13

"Werden Neda oder Sihrab wieder lebendig?"

Nein, aber die konfrontative Politik des Westen wird sie auch nicht lebendig machen und konnte ihren Tod auch nicht verhindern! Daher ist es wieder Zeit für eine Politik der Annäherung wie sie gegenüber dem kommunistischen Osten geführt wurde.

bernd s02-06-13

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!!

Dieser satz von Präsident Bush ist weiterhin gültig und Grundlage der us-aussenpolitik!

Es ist Krieg! !!!! Akademische Vorträge und reden ändern daran nichts!

Gerard14-06-13

@ bernd s
Ich kann Ihrem Beitrag nicht richtig folgen. Finden Sie die Aussage von Bush gut oder schlecht?
Und wenn Sie schreiben, "Es ist Krieg", noch mit 5 Ausrufezeichen versehen, darf ich mal fragen, ob und was SIE evtl. gedenken, dagegen zu tun, wenn Sie behaupten, Vorträge und miteinander zu reden änderten daran nichts.
Sonst bleibt es ein inhaltsleerer Beitrag.





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