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27.04.2010 Shayan Arkian

Das Erdbeben in Iran und das Busenbeben in Facebook


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Vermehrt prognostizieren die Seismologen einen baldigen Erdbeben in Teheran.

Als die UNO auf Vorschlag des liberalen Präsidenten Irans Mohammad Khatami das Jahr 2001 zum „Dialog der Kulturen“ ausrief, war man sich damals weltweit einig, dass Kampagnen wie das jetzige Busenbeben nicht dem Verständnis der Kulturen erträglich ist. Heute fragen sich viele Muslimen, wo die Verurteilungen ihrer christlichen und jüdischen Glaubensgeschwister verbleiben, denn die islamische Tradierung eines gerechten und somit strafenden Gottes basiert letztlich auf die Erzählungen des christlich-jüdischen Abendlandes.

Anlass der Kampagne ist eine Teheraner Freitagspredigt des Geistlichen Kazem Sedighi, in der er zur Züchtigkeit der Frauen aufruft, um ein vermeintliches Erdbeben zu vermeiden - so zumindest die westliche Wahrnehmung. Daraufhin gab es im Westen erwartungsgemäß Gelächter und Spott, der darin mündete, dass die US-amerikanische Atheistin Jen McCreight die Initiative ergriff, über ihren Blog und das soziale Netzwerk Facebook Frauen weltweit dazu aufzurufen, den Gegenbeweis zu Sedighis Warnung aufzustellen. 185.000 Frauen erklärten sich bereit an der Aktion, ihren Dekoltee für einen Tag offen zu zeigen, teilzunehmen. Ein zwischenzeitliches Erdbeben in Thailand führte kurze Zeit zur Irritation, uninformierte Sympathisanten feierten in Facebook & Co. ironischerweise den vermeintlichen Erfolg der Kampagne.

In gewiesser Weise abstruser wurde es als Golbarg Bashi, Exil-Iranerin und Dozentin an der Rutgers University in New Jersey, die Gruppe "Brainquake" ("Hirnbeben") ins Leben rief. Darin fordert sie Frauen auf, statt ihre Körper, lieber Lebensläufe, Preise und erreichte Ziele zu veröffentlichen. "Frauen und junge Mädchen sind jeden Tag dazu gezwungen, nackte Haut und mehr zu zeigen, um Gehör zu erhalten, wahrgenommen zu werden oder im Beruf voran zu kommen", schreibt Bashi. Denn gerade das war eben die Botschaft von Kazem Sedighi, der nach den Wahlunruhen die ebenbürtige Nachfolge Ayatollah Hashemi Rafsanjani als Freitagsprediger antrat und relativ schnell durch seine „mystische Predigten“ populär wurde. Zudem sagte der Prediger nicht, wie hier fälschlich angenommen wird, dass ausschließlich moralischer Zerfall und Korruption Erdbeben auslösen, sondern gemäß der tradierten Überlieferungen der Heiligen einer von vielen Gründen für Erdbeben sein kann, aber nicht muss.

Das islamische Gottesbild basiert hier auf dem christlich-jüdisches Verständnis eines gerechten und somit strafenden Gottes. In der biblischen Tradition heißt es im Lukasevangelium exemplarisch: „Desselbigengleichen, wie es geschah zu den Zeiten Lots: sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten an. An dem Tage aber, da Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um. Auf diese Weise wird's auch gehen an dem Tage, wenn des Menschen Sohn soll offenbaret werden.“ (Luk 17,28-30, Bibelübersetzung nach Luther) Im Vers 32 erinnert Jesus in diesem Zusammenhang besonders an das Schicksal der ungehorsamen Frau Lots: „Gedenket an des Lots Weib!“ Die biblische und jüdische Tradition ist bestückt mit solchen und ähnlichen Ereignissen, der Koran beruft sich auch auf diese mit einigen Modifizierungen.

Es mag sein, dass im säkularisierten Westen viele Bürger nicht mehr von dem Wahrheitsgehalt der biblischen Erzählungen ausgehen, aber genau deswegen ist die Kampagne „Busenbeben“ keine Aktion gegen das System in Iran an sich - wo ausgerechnet die liberalen Menschen mehr an willkürlichen Aberglauben hängen als ihre konservativen Mitmenschen, dessen Weltbild mehr geprägt ist von einem zum Teil aristotelische Theologie - sondern eher ein Ausdruck einer Identitätskrise im Westen. Der Konflikt Islam und Westen ist bei näherer Betrachtung kein Konflikt zwischen zwei großen monotheistischen Weltreligionen, sondern von einer rationalen Welt, die sich zunehmend von religiösem Bewusstsein entfernt hat und einer Welt, die neben (und nicht im antagonistischen Widerspruch zu) den rationalen Wahrheiten, den jenseitigen, undurchschaubaren und spirituellen Wahrheiten nachgeht. Gläubige Juden, Christen und Muslime verbindet das Letztere. So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung zwischen den Vatikan und schiitischen Theologen im Jahr 2008: „Glaube und Vernunft widersprechen einander nicht, allerdings kann es vorkommen, dass der Glaube Botschaften jenseits der Vernunft ermittelt, die ihm aber nicht entgegenstehen.“

In Iran gehen daher die Diskussionen um das zukünftige Erdbeben in Teheran, die die empirischen Seismologen prophezeien, über die der theologischen Diskussionen hinaus. Es wird technokratisch der Vorschlag des Präsidenten Mahmoud Ahmadinejads, Umsiedlungen von Staatswegen zu subventionieren, debattiert und kritisiert. Eine Studie der Regierung besagt, dass wenn einige staatlichen Organisationen, Firmen und Institutionen aus Teheran umsiedeln, die Bevölkerungsanzahl Teherans sich um eine Million verringern würde. Das erklärte Ziel der Regierung ist, die Überbevölkerung Teherans mit 5 Millionen Aussiedlern entgegen zu steuern. Eine japanische Forschungsgruppe begrüßt die Dezentralisierung Teherans, um die erwartete Katastrophe zu minimieren.

Jedenfalls aber erscheint ein Erdbeben in Teheran unausweichbar zu sein, und auch in durch und durch rationalisierten Deutschland würde man dann dennoch sagen: „Jetzt hilft nur noch beten.“


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