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28.06.2012 Prof. Dr. Djavad Salehi-Isfahani

Folgenschwere Fehleinschätzungen über die iranische Wirtschaft


Irans Hauptstadt Teheran

Aussicht auf die Hauptstadt Teheran.

Es wird allgemein angenommen, dass eine durch Sanktionen geschwächte düstere Wirtschaftslage der Hauptgrund für Iran gewesen sei, im April zu den Verhandlungen mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands (G5+1) zurückzukehren.

Anfängliche Hoffnungen auf einen schnellen Durchbruch wurden letzten Monat in Bagdad getrübt, als Iran die harschen Forderungen der G5+1-Gruppe zurückwies. Sollte die Verhandlungsposition der Sechsergruppe vom Glauben beeinflusst gewesen sein, dass Irans Wirtschaft durch die Sanktionen bis zum Punkt eines bevorstehenden Zusammenbruches gedrängt worden sei, dann macht es für sie Sinn, die unnachgiebige Haltung beizubehalten und zu hoffen, dass eine rasch geschwächte Wirtschaft die iranische Seite weich werden lässt. In dem Fall hätte es von Anfang an wenig Grund gegeben, der jüngsten Verhandlungsrunde in Moskau optimistisch entgegenzublicken.

Die Iraner ihrerseits scheinen sich nicht so zu verhalten, als würde ihre "ökonomische Uhr" ablaufen. Bluffen sie oder liegen ihnen einfach andere Fakten vor? Während Berichte im Westen ein düsteres Bild einer scheiternden iranischen Wirtschaft zeichnen, sprechen Daten, die internationale Organisationen von Iran erhalten,  von einer Wirtschaft die - trotz ernsthafter Herausforderungen - nicht am Rande des Kollapses steht.

Da die iranische Wirtschaft ein zentraler Punkt des Atomstreits ist, ist es wichtig, einige zentrale Aspekte der Behauptungen, auf die sich die beiden verschiedenen Darstellungen gründen, näher zu betrachten.

Lebensstandard

Um zu verstehen, warum Irans Wirtschaft nicht so schlecht funktioniert, wie allgemein angenommen wird, ist ein Vergleich mit der Türkei nützlich.

Iran landete im Human Development Report von 2011, welcher in seinem Index Einkommen, Bildung und Gesundheit einfließen lässt, noch vor der Türkei. Entsprechend der World Development Indicators, einer öffentlich verfügbaren Statistik der Weltbank (die kurioserweise von Journalisten zu wenig beachtet wird), betrug das iranische Bruttosozialprodukt pro Kopf etwa 90% von dem der Türkei im Jahr 2009 (das sind für beide Länder die aktuellsten verfügbaren Daten) .

In den zehn Jahren zuvor verbuchte die iranische Wirtschaft ein robustes Wirtschaftswachstum von durchschnittlich etwa 4,7 Prozent im Jahr, die Türkei lag bei 3,9 Prozent. Natürlich war das iranische Wirtschaftswachstum vom Öl abhängig, während das der Türkei eher auf eine gestiegene Produktivität zurückzuführen ist. Seitdem Iran 2009 die Veröffentlichung verlässlicher Zahlen beendet hat, deuten alle Hinweise darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum in Iran allmählich ins Stocken geraten ist, während sich das der Türkei erhöhte.

Inflation

Die Inflationsrate ist der Indikator für die konjunkturelle Situation, den die Iraner am häufigsten nennen, wenn sie über die Wirtschaft befragt werden. Auch ist es der am häufigsten beachtete Wert in den westlichen Medien. Diese Fokussierung hat ihren Grund. Seit 1985 hat die Inflationsrate offiziellen Angaben zufolge jährlich knapp 20 Prozent betragen. Während des letzten Jahrzehnts sank sie auf durchschnittlich 15 Prozent und schließlich auf 10 Prozent 2010, um dann wieder stark anzusteigen. In den letzten 12 Monaten hielt sich die Inflationsrate bei durchschnittlich mehr als 25 Prozent. Im letzten Monat stieg sie auf 34 Prozent (auf das Jahr gerechnet) an.

Nach nun fast drei Jahrzehnten Inflation scheinen die Iraner sich noch nicht wirklich daran gewöhnt zu haben, aber angesichts der langen Zeit, in der sie bereits fortbesteht, scheint die Regierung die Inflation an sich nicht als besonders bedrohlich wahrzunehmen. Sie ist lediglich über eine hohe Inflationsrate besorgt, weil sie ein alltägliches Ärgernis darstellt, welches eine gespaltene Bevölkerung gegen sie vereint.

In jedem Fall steht die aktuell hohe Inflationsrate nicht im direkten Zusammenhang mit den Sanktionen. Hauptsächlich sind zwei Faktoren dafür verantwortlich: Die Rekordsummen, die an Devisen für das Erdöl eingenommen werden, und die jüngste Subventionsreform.

Auf Öleinnahmen basierende Regierungsausgaben sorgen immer für ein wenig Inflation, weil sie einen Preisanstieg bei nicht handelbaren Gütern und Dienstleistungen - und damit einhergehend einen allgemeinen Anstieg der Preise - verursachen. Aus diesem Grund reagieren die Preise für Immobilien, Gesundheitsdienstleistungen und frisches Obst besonders anfällig auf die auf Öl basierten Ausgaben. Die Iraner mögen ihre Öl-Rente, aber sie hassen die Inflation, die mit ihnen einhergeht.

Die andere Hauptursache der momentanen Inflation ist ein gewagtes Programm zur Reformierung der Subventionen, das im Dezember 2010 eingeführt wurde und welches die Preise für Produkte aus dem Energiebereich um das drei- bis neunfache erhöht hatte. Um das Programm politisch akzeptabel zu gestalten, verteilte die Regierung das eingenommene Geld so, dass sie jedem Iraner eine 45-Dollar Ausschüttung gab.

Die Berichterstattung in den westlichen Medien über das Programm war im Großen und Ganzen eher negativ, die Regierung glaubt aber, dass die Reform eigentlich recht populär sei. Letzten Monat erlaubte das iranische Parlament die Ausweitung des Programms. Die Subventionsreform hat wahrscheinlich die Armut und die Ungleichheit reduziert, weil die Energiesubventionen überproportional die Reichen begünstigt hatten. So bekam etwa das ärmste Zehntel der Bevölkerung effektiv nur einen Dollar von jedem zehnten Dollar der Benzinsubventionen, die die Reichsten erhielten. Demgegenüber hilft die Barauszahlung von etwa anderthalb Dollar pro Person täglich vielen, die sich zuvor unter der internationalen Armutsgrenze von zwei Dollar täglich befanden, sich aus der Armut zu befreien.

Schließlich gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Inflation die ärmeren Einkommensgruppen trifft, welche ja wie keine andere Gruppe die Machtbasis der Regierung bildet. Nicht jeder kann Verlierer sein, da höhere Renten oder Produktpreise irgendwem zugute kommen müssen.

Von den Details einmal abgesehen lässt die einfache Tatsache, dass die Regierung sich auf so ein riskantes Programm inmitten des Gipfels der Auseinandersetzungen mit dem Westen einlässt, vermuten, dass die Regierung gar nicht daran glaubt, dass sie momentan vor einem wirtschaftlichen oder politischen Abgrund stehe.

Der Wechselkurs

Die Regierung wurde mit ihrer ersten fühlbaren und ernsthaften wirtschaftlichen Krise im Dezember 2011 konfrontiert. Damals stürzte der iranische Rial nach Jahren der Stabilität ab und verlor innerhalb einer Woche rund 80 Prozent seines Werts. Offensichtlich wurde die Abwertung durch die Verschärfung der Finanzsanktionen gegen Iran verursacht, welche der US-Kongress Anfang desselben Monats verabschiedet hatte. Die Abwertung selbst war aber bereits seit Jahren überfällig.

Die Inflation hatte die iranischen Produzenten vor große Nachteile gegenüber der Konkurrenz chinesischer Importe gestellt. Seit 2005 waren in Iran produzierte Güter im Vergleich zu ausländischer Ware im Durchschnitt 50 Prozent teurer geworden, was zu vielen Insolvenzen und massiven Entlassungen geführt hatte. Während die Teile der iranischen Gesellschaft, die zuvor von den günstig verfügbaren ausländischen Währungen profitierten, nun negativ betroffen sind, dürfen andere, denen wohl bald Arbeitsplätze in der durch Währungsabwertung wiederbelebten Industrie zur Verfügung stehen, positiveren Ergebnisse entgegenblicken.

Von der Tatsache abgesehen, dass die Sanktionen Irans ausländischen Handel behindern, ist die Situation am iranischen Devisenmarkt der Neid der Dritten Welt: Das Land hat praktisch keine Auslandschulden und eine beachtliche Menge an Reserven verschiedener ausländischer Währungen und an Gold.

Irans wirtschaftliche Umstände mögen zwar nicht düster sein, aber sie stellen die momentane Führung vor zahlreiche Herausforderungen. Die gesamte Wirkung der Sanktionen lässt noch auf sich warten. Der Westen kann derweil darauf wetten, ob sie - wenn sie in den nächsten Monaten zu greifen beginnen - ernsthaft Irans Fähigkeiten einschränken werden, Öl zu exportieren und wichtige Importe durch diese Einnahmen zu finanzieren, oder ob das Land mit einigen Schlüsselländern wie China oder Indien in Tauschgeschäfte treten wird.

Die Zeit für die iranische Führer, diese Krise als eine Gelegenheit zu nutzen, mag verstrichen sein – die Führung bestreitet ja sogar noch immer, dass die Sanktionen überhaupt schmerzen – und die Notwendigkeit zur Herstellung der nationalen Einheit mag auch nicht mehr existieren. Aber sie haben guten Grund zuversichtlich zu sein, dass mit einigen politischen Korrekturen zur Verbesserung des inländischen Geschäftsklimas, Iran diesen Sturm standhalten kann und dass seine Wirtschaft für eine ganze Weile überstehen wird, so dass die Führung nicht vor dem einknicken muss, was als unvernünftige westliche Forderungen betrachtet wird – insbesondere angesichts fehlender Aussichten auf eine ernsthafte Rücknahme der Sanktionen.

Was würde der Westen tun, wenn er aufgrund dieses Arguments seinen Glauben in eine verkrüppelte iranische Wirtschaft aufgeben würde? Wäre bei einer solchen Annahme in Moskau oder später in einem Jahr ein Kompromiss wahrscheinlicher?

Die Antwort hängt davon ab, wie realistisch die Kriegsoption für den Westen ist. Ist die Bombardierung der iranischen Atomanlagen eine durchführbare Option, dann wird der Westen sich möglicherweise nicht viel darum scheren, ob die iranische Wirtschaft vor dem Zusammenbruch steht. Es verhält sich dann so wie bei einem Pokerspieler, der sorglos spielt, weil er ja weiß, dass er ohnehin alles abräumen kann. Ist die Kriegsoption dagegen sehr kostspielig, dann würde ein realistischeres Bild über die iranische Wirtschaft dem Westen helfen, seine Karten intelligenter zu spielen.


Von Prof. Dr. Djavad Salehi-Isfahani, Wirtschaftsprofessor an der Technischen Hochschule Virgina und nicht ansässiger leitender Wissenschaftler am Brookings Institution, erstmalig erschienen bei Al-Monitor am 13. Juni 2012. Übersetzt von Leo Schmitt.


Heinrich S.28-06-12

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat es in Deutschland eine große Gründerwelle gegeben, die wesentlich dazu beigetragen hat, Deutschland zu einer der größten Wirtschaftsnationen der Welt zu machen. Ich frage mich, ob das Umdenken in Iran in Sachen Privatisierung und Subventionsabbau nicht zu ähnlichen Ergebnissen in der Islamischen Republik führt. Die Bemühungen des Westens Iran zu isolieren werden eine solche Entwicklung sicher bremsen, aber meine Einschätzung ist, dass sich Iran über kurz oder lang zu der großen Wirtschaftsmacht in Westasien entwickelt und dabei, gerade wegen der heutigen Isolationsbemühungen, über eine starke Eigenproduktion verfügen wird.

Meryem28-06-12

Dankeschön, da ist mir einiges an Zusammenhängen klarer geworden.

siglinde29-06-12

Nehmen wir einmal an, dass die europäische und amerikanische Wirtschaft in den nächsten 3 Jahren völlig am Boden liegt und Asien sich entsprechend entwickelt. Was kann es dem Iran schaden, wenn sie sich jetzt an Autarkie gewöhnen und sich dem asiatischen Markt öffnen. Nichts, ganz im Gegenteil.

zahra30-06-12

guter artikel.danke

Mohsen01-07-12

"Es verhält sich dann so wie bei einem Pokerspieler, der sorglos spielt, weil er ja weiß, dass er ohnehin alles abräumen kann."

Ich sehe diesen Punkt etwas anders.

Der Westen ist eher wie ein Pockerspieler der in diesem Spiel weder etwas gewinnen noch verlieren kann und auch nur das Spiel mitmacht weil seine Freunde (Israel) von ihm es verlangen.

Selbst wenn Iran alle seine Atomaren Projekte von aufs Eis legt, ist für den Westen kein Gewinn in Sicht.

Diese Theorie deckt sich eher mit dem lustlosen Verhalten der westlichen 5+1 Mitglieder in Moskau.

Le Mec02-07-12

Da sagen Sie was Mohsen. Es stimmt mich als deutscher Staatsbürger mehr als traurig zu sehen, wie Deutschland nach zwei verlorenen Weltkriegen schon wieder auf der Seite derjenigen steht, die blind die Wünsche der Verlierer erfüllen. Und diesmal nicht einmal mit Aussicht auf irgendwelchen Gewinnen. Wie traurig...

Mohsen02-07-12

@Le Mec

Zu gewinnen gibt es nichts, aber bei diesem Spiel verliert der Westen auch nicht viel, jedoch verliert er zumindest den Einsatz (um beim Beispiel Pocker zu bleiben)

Der Einsatz ist zwar nicht besonders hoch aber dennoch über die Benzinpreise vom Bürger zu bezahlen. Dem Staat stört diese Tatsache zunächst und auf kurzer Sicht wenig, da dadurch einerseits mehr Steuern eingenommen und anderseits der Benzinvebrauch reduziert wird, welcher den Klimazielen entgegenkommt.

Auf längerer Sicht hämmt allerdings der hohe Benzinpreis das Wirtschaftswachstum

Bekanntlich werden in keinem Geschäft die Konditionen besser wenn man einen Anbieter aus politischen Gründen nicht an dem Wettbewerb teilnehmen lässt. Das gilt auch bei Öl.

Es ist auch die Frage wie lange die Politik die Israeltreue aufrecht erhalten kann, wenn sie von den Bürger zunehmend als Last empfunden wird.
Mittlerweile traut sich die Regierung nicht einmal U-Boot Geschäfte/Geschenke an Israel publik zu machen. Da war vor wenigen Jahrzehnten noch ganz anders.

Mohsen02-07-12

2. Teil

Die EU-Partner haben beim Beschluss der Sanktionen gegen Iran den Griechen garantieren müssen, dass sie weiterhin Öl bekommen. Woher auch immer.
Also bin ich gespannt auf den EU-Ölrettungsschirm für Athen.

Spätestens wenn dieses Versprechen eingelöst werden muss, bröckelt das Iranembargo politisch.

Le Mec@Mohsen03-07-12

Zu Teil 2: Wir wollen es hoffen

Zu Teil 1: Glauben Sie wirklich, dass der Westen nichts zu verlieren hat? Meines Wissens ist das Geschäft mit der Islamischen Republik sehr lukrativ. Allein, was an Geschäften für die vielen deutschen Maschinenbauer aus dem Mittelstand verloren geht, die Verluste gehen wohl schon in die Milliardenhöhe. Und hier sind nicht einmal die Verluste durch den Ausfall des Marktes mit Öl- und Gasfördertechnologien mit einbezogen...

Mohsen03-07-12

@Le Mec

"Zu Teil 1: Glauben Sie wirklich, dass der Westen nichts zu verlieren hat?"

Ein Geschäftsverlust ist hauptsächlich dann für Unternehmen schmerzhaft, wenn sie unerwartet kommt.
Das Geschäft mit dem Iran ist dem letzten Jahrzehnt, heruntergefahren worden. Selbst für Verbrauchsgüter sind die bürokratische Schwellen erhöht und den Unternehmen erschwert worden.

Auch von seite Iran ist in dieser Zeit immer mehr nach Osten gerichtet worden.

ich gehe davon aus, selbst wenn das Embargo vollständige aufhören würde, dass eine Normalisierung der Handelsbeziehungen sich über einen sehr langen Zeitraum hinziehen könnte.

Technologisch hochentwickelte Waren haben die Eigenschaft ihre Kunden und Nutzer auf lange Sicht an die Lieferanten zu binden. Diese sind immer mehr im Osten angesiedelt.

Carsten04-07-12

ich war im April diesen Jahres im Iran und konnte den dortigen Bau-Boom beobachten. An jeder Ecke werden dort Hochhäuser gebaut, das U-Bahnnetz erweitert und Hochstraßen gebaut. Insgesamt eine hohe Geschäftigkeit - kein Anzeichen von "Wirtschafts-Kollaps". Die Inflation liess einige Iraner jedoch stöhnen. Und das "Bedingungslose Grundeinkommen" war als ich dort war schon auf 50$ angehoben.

Mohsen @ Carsten11-07-12

Die Inflation ist stets die Rückseite der Medallie von staatlichen Investitionen.

Das "Bedingungslose Grundeinkommen" ist in wirklichkeit eine gezielte / an Bürger direkt gerichtete Subvention als Gegenzug für die Streichung von Energie-Subventionen.
Ein Bedürftigkeitsprinzip / Einkommensgrenzen werden noch zukünftig eingeführt. Das Ziel ist mittelfristig ähnlich der Deutschen Lohnaufstockung oder Wohnzuschuß zu fördern.





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