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24.11.2011 Nabi Sonboli

Afghanistan: Bonn II und die Notwendigkeit einer neuen Vision


Afghanistan Konferenz Bonn

Regionale Zusammenarbeit und Integration im Wirtschaftsbereich sind die besten Lösungen für das Erreichen einer dauerhaften Stabilität und Entwicklung in Afghanistan, Zentralasien und darüber hinaus. Um zu diesem Ziel zu gelangen, müssen die USA und die EU die regionale wirtschaftliche Kooperation und Integration im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO) unterstützen. In der Organisation sind Iran, Pakistan, die Türkei, Afghanistan und einige regionale Freunde der USA vertreten.

Seit 2001 stützen sich die USA und ihre europäischen Verbündeten (in der NATO) überwiegend auf militärische Lösungen. Allerdings leidet Afghanistan zehn Jahre nach der Petersberger Konferenz bei Bonn  unter einer Arbeitslosenrate von 40 Prozent und der größte Teil des Südens und des Südostens des Landes wird von den Taliban kontrolliert, die  damals  noch restlos zerschlagen erschienen. Warum haben wir diese Situation? Das Kernproblem geht auf die in Angriff genommenen Lösungsansätze und den langfristigen Ausblick für das Land zurück. Statt über eine militärische Dauerpräsenz müssen die USA und die EU über eine wirtschaftliche Dauerpräsenz nachdenken und den ökonomischen Regionalismus sowie die ökonomische Integration von Zentral- bis Südasien unterstützen.

Afghanistan leidet nun seit mehr als drei Jahrzehnten unter Interventionen und Konflikten. Die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur wurde komplett zerstört und die wirtschaftlichen Probleme haben zu Konkurrenzkämpfen zwischen verschiedenen Gruppen um die knappen Reichtümer geführt. Während die wirtschaftlichen Probleme die Hauptursache für die Instabilität waren, setzten die USA und die NATO auf militärische und politische Lösungen.

Afghanistan und die zentralasiatischen Länder sind Binnenstaaten. Ein Binnenstaat hat eine Binnenwirtschaft und diese Wirtschaft wird ohne enge Bindungen zu blühenden Wirtschaften in der Umgebung nicht gedeihen. Die Regionalwirtschaft kann für die Binnenwirtschaft die Rolle eines Motors spielen. Das ist ein offensichtlicher Punkt, der vernachlässigt wurde. Durch Pakistan und Iran laufen für Afghanistan die Hauptzugänge zu den offenen Meeren.

Regionale Kooperation wird nicht ohne eine starke regionale Organisation funktionieren. Die "Regionale Konferenz für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Afghanistan" (RECCA) ist nützlich, aber nur ein zeitlich begrenzter Mechanismus mit unverbindlichen Entscheidungen. Es scheint, dass die Teilnehmer die Konferenz nicht besonders ernst nähmen. Um regionale wirtschaftliche Kooperation zu institutionalisieren, ist ein permanent wirkender Mechanismus von Nöten. Die ECO ist die einzige regionale Organisation, die die regionalen Volkswirtschaften miteinander und mit der Weltwirtschaft verbindet. Neulich wurde der Irak zu den Sitzungen der Organisation eingeladen und es bestehen weitere Ausbaukapazitäten.

Die ECO wurde von der EU vernachlässigt und von den USA geschwächt. Die EU-Nachbarschaftspolitik konzentrierte sich auf den Süden und den Südosten Europas. Das politische und militärische Einschreiten der EU und der USA in den ECO-Staaten (in Afghanistan, Pakistan, der Türkei und Aserbaidschan) war sogar intensiver als das in die Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas. Die EU-Türkei Beziehungen, die Präsenz der NATO in Afghanistan und die Einmischung der EU in den Irak sind nur einige Beispiele. Die Rolle der ECO für die Energiesicherheit der EU kann nicht ignoriert werden. Die Nabucco-Gaspipeline und einige andere Gas- und Ölpipelines in die EU stammen aus oder gehen durch ECO-Mitglieder. Des Weiteren sind die für Europa und die Welt wichtigen Herausforderungen - wie die Eindämmung des Terrorismus, des Extremismus, der illegalen Immigration und des Drogenverkehrs - ohne einen umfassenden Ansatz und ohne konstruktive Bindungen mit der ECO-Region nicht durchführbar. Da die ECO über die Türkei mit der EU verbunden ist, kann ein konstruktiver Ansatz nicht nur zum Frieden und zur Prosperität in Süd-, West-, und Zentralasien beitragen, sondern auch positiv auf die Wirtschaft der EU und ihre Nachbarn in Nahost und Nordafrika einwirken.
   
Die USA haben mit den Iran aufgezwungenen Sanktionen eine entscheidende Rolle in der Schwächung eines Regionalismus der ECO geleistet. Die US-Strategie zum Unterhöhlung der ECO hat zur Entwicklung und Expansion der "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit" (SOZ) geführt. Die Weiterführung der aktuellen EU- bzw. US-Ansätze gegenüber der ECO werden dem Wachstum der SOZ bis an die Grenzen der EU den Weg ebnen. Dazu kommt, dass die politische und wirtschaftliche Situation in Zentral- und Westasien nicht besser ist als die in den Nahost- und Nordafrikastaaten. Wie der Bürgerkrieg in Afghanistan und der 11. September gezeigt haben, treffen die Konsequenzen von Instabilität in diesen Regionen schmerzhaft die EU, die USA und Russland. Dagegen sind die wirtschaftlichen und kommerziellen Chancen der ECO aufgrund von Öl-Devisen und jungen Bevölkerungen riesig. Ein Dialog zwischen den USA, der EU und der ECO zu Wirtschaft und Energie wird aus diesem Grund allen nützen.

Die ECO ist die einzige Organisation, die zu langfristigem Frieden und Stabilität im Binnenstaat Afghanistan beitragen kann. Durch Hilfsgelder kann kein lebensfähiger Staat aufrechterhalten werden. Um einen lebensfähigen Staat zu stützen, der für dauerhafte Sicherheit sorgt, braucht Afghanistan eine effiziente Wirtschaft. Ohne eine starke nachhaltige Wirtschaft wird es keinen nachhaltigen Frieden und keine dauerhafte Stabilität geben und Afghanistan wird zu einer langfristigen Bürde für die internationale Gemeinschaft werden - das gilt insbesondere für die EU, die USA und Afghanistans Nachbarstaaten. Für einen nachhaltigen Frieden und Sicherheit in Afghanistan ist eine nachhaltige regionale Wirtschaft notwendig. Die Iran aufgezwungenen Sanktionen und die Einmischung in Pakistan wird die wirtschaftlichen Problemen in der Region, insbesondere die in Afghanistan und Zentralasien, dagegen verstärken.

Die EU und die USA waren nicht in der Lage, eine klare Vorstellung von der ECO-Region zu entwerfen. Die „Failed States“ in der Nahost-Region sind die Folge von „Failed Policies“, die von diesen Staaten und ihren internationalen Unterstützern - insbesondere von den USA und der EU - implementiert wurden. Die Verwandlung Afghanistans „von einem armen und gefährlichen hin zu einem von Krieg und Furcht befreiten Land“, wird nicht ohne regionale wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und Entwicklung möglich sein.

Afghanistan ist kein reiches Land. Das momentane Schwächeln geht aber auf das Fehlen von verfügbaren finanziellen Ressourcen zurück; und wenn die knappen Reichtümer nicht im Land bleiben und dem Ausbau des Mittelstands und der Bildung dienen, kommt es auch nicht zu dauerhaftem Frieden und Stabilität. Die Provinz Herat ist als Ergebnis des regionalen Handels die derzeit am besten entwickelte in Afghanistan. Herat ist die einzige Stadt, in der es NATO-Offizielle wagen, auf der Straße zu spazieren. Das könnte auch in anderen Teilen Afghanistans der Fall sein, sollten die Anstrengungen derjenigen, die dort zu Sicherheit und Entwicklung beigetragen haben, Wertschätzung erfahren.

Das Verfolgen widersprüchlicher Politikansätze in der Region wird die Bürde, die die USA tragen, deren Abhängigkeit von Russland und von instabilen Regionen in Pakistan nur noch weiter vergrößern. Um zu Stabilität und Prosperität in Afghanistan beizutragen, müssen die USA ihre Haltung und Einstellung gegenüber Iran ändern. Die Reaktion der iranischen Gesellschaft auf Flüchtlinge unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der europäischer Gesellschaften. Wenn sich die wirtschaftliche Situation aufgrund von US-EU-Sanktionen verschlechtert, wird der soziale und politische Druck auf die Regierung steigen, die zwei Millionen afghanischen Flüchtlinge des Landes zu verweisen.

Die USA und andere NATO-Mitglieder sollten ihre militärische Präsenz durch eine wirtschaftliche ersetzen. Um Probleme in der Politik und in Sicherheitsfragen in den Griff zu bekommen, ist ein "Quartett-Ansatz", der Afghanistan, Iran, Pakistan und die Türkei einschließt, ausreichend. Alle sind ECO-Mitglieder und haben noch einige gemeinsame Interessen mehr. Diese Länder sollten mit einer Stimme sprechen und den Taliban eine deutliche Botschaft senden, die ihnen deutlich macht, dass Afghanistan nun seit langer Zeit ein regionales Problem ist und Bürgerkrieg keine Alternative mehr darstellt. Sie müssen deutlich machen, dass sie es nicht zulassen werden, dass die Taliban regionale Unstimmigkeiten ausnutzen, um Afghanistan zu kontrollieren. Das Land ist ein Binnenstaat, der nicht ohne regionale Kooperation regiert werden kann. Die USA werden früher oder später das Land verlassen, aber die Nachbarstaaten bleiben für immer dort. Die ECO-Region ist für die USA und die EU weitaus wichtiger als Afghanistan. Durch einen Veränderung ihrer Haltung gegenüber der Region werden die USA in eine viel bessere Position kommen und andere brennende Probleme in Angriff nehmen können. Eine internationale Unterstützung des Regionalismus wird die Feindschaft, die seit 1990 innerhalb Afghanistans herrscht und die zum Sieg der Taliban geführt hat, beenden. Der RECCA-Prozess kann in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle spielen.

Wie der arabische Frühling uns verdeutlicht hat, sind Arbeitslosigkeit, Korruption, Ineffizienz und unterentwickelte Volkswirtschaften größere Gefahren für den regionalen Frieden und die Stabilität als die Taliban oder Al-Qaida. Diese Gruppen haben von einer solchen Situation in Afghanistan, Pakistan und anderen Gegenden des Nahen Ostens profitieren können. Deshalb muss der wirtschaftlichen Entwicklung, der Arbeitsbeschaffung und dem Wiederaufbau der Infrastruktur Priorität eingeräumt werden. Es sind regionale Kooperation und internationale Investitionen vonnöten, um den regionalen Handel und die transnationalen Handelsbeziehungen zu fördern. Um das zu erreichen, müssen die USA und die EU ihre Herangehensweise in der Region ändern. Es ist bedauernswert, dass es die USA seit drei Jahrzehnten nicht geschafft haben, ein paar kleine politische Probleme mit einem regionalen Akteur zu lösen und ständig Probleme hinzufügen.

Die wirtschaftlichen Ursachen des Konflikts in Afghanistan sollten nicht vernachlässigt werden. Die Stärkung der regionalen wirtschaftlichen Kooperation verstärkt die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in Afghanistan und ermutigt sie zu mehr Zusammenarbeit. Eine blühende Regionalwirtschaft wird die Anreize zum Kampf um politische Macht und Einfluss verringern. Millionen von Flüchtlingen in Iran, Pakistan, Indien, der EU und den USA sind sich der wirtschaftlichen Potenziale außerhalb ihres Landes sehr wohl bewusst. Sie können Afghanistans regionale und weltweite wirtschaftliche Beziehungen stärken. Statt einer de facto-Aufteilung, sollten die USA und die EU über eine Integration der verschiedenen ethnischen Gruppen in Afghanistan und ebenso über eine regionale wirtschaftliche Integration des Landes nachdenken. 

Ein weiterer Punkt ist, dass regionale wirtschaftliche Integration für verschiedene Gruppen die Anreize senkt, sich politisch motiviert oder aus Sicherheitsgründen in Afghanistan einzumischen. Afghanistan ist kein sicherer Hafen mehr für Al-Qaida; und aktuell ist Al-Qaida keine große Gefahr mehr für die Vereinigten Staaten. Und dennoch zeigen Washingtons Bemühungen, seine Truppen langfristig dort zu stationieren, dass die US-Ziele sich bereits geändert haben. Eine dauerhafte Truppenpräsenz liefert Terroristen aber ein dauerhaftes Ziel.

Unter dem Strich zeigt sich die regionale Kooperation und Integration in der Wirtschaft als die beste Lösung für eine nachhaltige Stabilität und Entwicklung in Afghanistan, Zentralasien und darüber hinaus. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die USA und die EU die regionale Kooperation und Integration in der Wirtschaft im Rahmen der ECO unterstützen. Das schließt Iran, Pakistan, die Türkei, Afghanistan und andere US-Freunde in der Region mit ein. Die transatlantischen Partner werden viel mehr Nutzen aus der regionalen Kooperation und Integration der Wirtschaft vom Persischen Golf bis Zentralasien ziehen können als durch anhaltende militärische Präsenz und Intervention. Obwohl es eine langfristige Vision ist, müssen wir nichtsdestotrotz damit jetzt schon beginnen. Ich frage mich, ob es irgendjemanden gibt, der zuhört und die Lehren aus der Geschichte zieht.


Von Nabi Sonboli, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Teheraner Think-Tank Institute for Political and International Studies (IPIS). Zurzeit vertritt er das Institut in Berlin.

Sein Artikel „Afghanistan: Bonn II and the Necessity of New Vision“ erschien erstmals in Europe’s World am 20. September 2011; übersetzt von Leo Schmitt.


Le Mec24-11-11

Europa wäre gut beraten mit Iran in Afghanistan und Irak zu kooperieren. Terrorismus, Drogenkriminalität, Stabilität: Alles gemeinsame Interessen zwischen Europa und Iran. Prinzipiell wären auch die Amerikaner gut beraten das zu tun, da habe ich die Hoffnung allerdings bereits aufgegeben. Dass nun bloß die Europäer zur Vernunft kommen.





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