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23.09.2011 Dr. Arshin Adib-Moghaddam

Irak und das Ende des Imperiums


Nahost-Karte

Irak und seine Nachbarn.

Die noch immer anhaltende Krise im Irak zeigt alle Faktoren, die die neuen politischen Realitäten der Region kennzeichnen. Den USA ist nun – nach zwei Invasionen im Irak Saddam Husseins , einem anhaltenden Kalten Krieg gegen Iran und nach einem "Krieg gegen den Terror", der im gebirgigen Labyrinth des Hindukuschs an der afghanisch-pakistanischen Grenze immer mehr an Durchschlagskraft verliert – bewusst geworden,  dass das internationale System von heute nicht mit militärischer Macht regiert werden kann.

Die Kosten für den von den Neo-Cons so eifrig verfochtenen Unilateralismus haben das Land in eine wirtschaftliche Krise geführt. Die Mittelschicht der USA, insbesondere aber die unteren Schichten der Gesellschaft, haben den "Krieg gegen den Terror" mit ihrem Schweiß und Blut finanziert. Der strategische Gewinn davon war dagegen gleich null.

Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben neben den zehntausenden Toten (von denen die meisten Zivilisten waren) faktisch ein Verringerung der strategischen Möglichkeiten der USA bewirkt. Es gibt keinen Saddam und keine Taliban mehr, die für die Eindämmung Irans und (wenn nötig sogar für einen Krieg gegen das Land) missbraucht werden könnten. Ebenso sind nun Tunesiens Zine el-Abidine Ben Ali und Ägyptens Husni Mubarak weg. Und nicht zuletzt änderten die strategischen Fehltritte und die Unmenschlichkeiten der US-Besatzung die Wahrnehmung der USA in den Köpfen der Mehrheit der Araber und Muslime.

Die Fehler im Irak haben aber auch Auswirkungen auf die Innenpolitik der USA. So hat die Situation im Irak in mehrerer Hinsicht Barack Obama den Weg zur Präsidentschaft geebnet. Obamas Stimme gegen den Krieg war ein Hauptfaktor für seinen Erfolg bei den Wahlen 2008. Der zweite Faktor ist mit dem Erscheinen einer post-amerikanischen Weltordnung verbunden.

Über zwei Jahrzehnte lang war Saddam Hussein sehr zweckdienlich, wenn es darum ging, den revolutionären Iran in Schach zu halten. Damit wir es nicht vergessen: Präsident Bush Senior hat die Kurden und die Schiiten während ihrer Revolte gegen Saddam Hussein unmittelbar nach der ersten US-Invasion im Irak 1990 verraten, weil er Saddam brauchte. Er brauchte ihn einerseits, um Iran zu kontrollieren, und andererseits, um die irakischen Schiiten zu unterwerfen, die als natürliche Verbündete Irans betrachtet wurden. Analytisch betrachtet bedeutet ein von Schiiten regierter Irak natürlich nicht gleich einen Gewinn für Iran. Allianzen werden aufgrund von Interessen geschlossen, nicht aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit. Der „Schiiten-Faktor“ ist eine hinreichende, aber keine notwendige Erklärung für die aktuell entstehenden irakisch-iranischen Beziehungen.

Die politische Elite Irans war sich dessen bewusst. Schon zu frühen Zeiten des Kriegs mit Saddam Hussein richteten sie institutionelle Bezugspunkte im Irak ein. So zum Beispiel den „Obersten Rat der Islamischen Revolution im Irak“ unter der Führung des damaligen Ayatollah Mohammed Baqir al-Hakim, der mittlerweile von seinem Bruder Abdul-Aziz al-Hakim in den „Obersten Islamischen Rat Iraks“ umgewandelt wurde. Iran gelang dazu die Mobilisierung eines breiten Netzwerks an religiösen Stiftungen (Bonyads), NGOs, Wohltätigkeitsorganisationen sowie Familienverbindungen, die sich von Teheran über Qum, Ahwaz und Maschhad in Iran bis Bagdad, Kerbala, Kazimiya und Najaf im Irak spannen. Diese Infrastruktur ist in verschiedener Hinsicht „organisch“. Das heißt, dass sie sich historisch  - spätestens seit der Safawiden-Dynastie - entwickelte und  im zwanzigsten Jahrhundert durch politische Allianzen weiter gefestigt wurde, so etwa mit den kurdischen Bewegungen.

Dazu kommen noch die Verbindungen der Geistlichkeit. Alle großen Vorbilder der Nachahmung (Mardschas) hatten in der zeitgenössischen Geschichte Irans ein persönliches Verhältnis zu Najaf und/oder Kerbala. Ayatollah Ruhullah Khomeini studierte in Najaf und war dort im Exil. Khomeini hatte eine enge Beziehung zu Ayatollah Baqir al-Sadr, den Schwiegervater Muqtada al-Sadrs, der momentan im iranischen Qom studiert. Ayatollah Sistani, ein irakischer Mardscha wurde in Iran geboren. Ayatollah Hashemi Shahroudi, ein enger Vertrauter des Staatsoberhauptes der Islamischen Republik Iran und ehemaliger Justizminister des Landes, wurde wiederum im Irak geboren. Die iranisch-irakische Geschichte ist folglich über die bloße konfessionelle Dimension hinaus intensiv vermischt.

Die imperiale Macht der USA hat sich für die Völker Westasiens nicht in einer Pax-Americana niedergeschlagen, so wie es in Nachkriegseuropa der Fall gewesen ist. Die USA haben hier keine existenzfähige Sicherheitsarchitektur aufgebaut, die umfassend wäre und der sie im Namen der Stabilität Geltung verschafft hätten. Die Israel-Lobby und Wählerschaften aus dem rechten Spektrum gewährleisten, dass die US-Außenpolitik spalterisch bleibt. Für die USA sind aber gegenseitige regionale Abhängigkeiten in Sicherheitsfragen gerade deshalb problematisch, weil sie das Teilen und Herrschen erschweren. Umgekehrt ist die iranisch-irakische Beziehung für die Menschen in der Region nur eine gute Sache, weil sie gegenseitige Abhängigkeiten herstellt, die in eine lebensfähige Sicherheitsarchitektur für die Region münden kann, ähnlich wie die Achse zwischen Venezuela und Kuba, die die Autonomie von ganz Lateinamerika zur Folge hatte. Letztendlich sind es in erster Linie die Menschen in der Region und nicht die von außerhalb, die den Preis für den Krieg zahlen. Man kann nur hoffen, dass die politischen Eliten im Irak und in Iran der Situation gewachsen sind und die Extremisten in den eigenen Reihen im Zaum halten. Die Menschen auf beiden Seiten des Shatt el-Arab verdienen Frieden und Versöhnung. Zu diesem Zweck eröffnet die post-amerikanische Ordnung neue Chancen.

Dr. Arshin Adib-Moghaddam ist politischer Analyst und Professor in Vergleichender und Internationaler Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Westasien an der School of Oriental and Africa Studies der University of London. Er ist als Sohn iranischer Eltern in Istanbul geboren und in Hamburg aufgewachsen. Adib—Moghaddam studierte an der dortigen Universität sowie an der Universität in Cambridge.. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter “The International Politics of the Persian Gulf: A Cultural Genealogy”, “Iran in World Politics: The Question of the Islamic Republic” und “A metahistory of the Clash of Civilisations”. Der vorangegangene Artikel "Iraq and the end of the empire" wurde übersetzt von Leo Schmitt.


guteronkel07-03-12

Schöner wurde es in den vergangenen Jahren niemals ausgedrückt, dass die USA dumm sind. Das Beste ist aber, dass das dumme Volk der USA seine eigene Dummheit noch nicht bemerkt hat. Obwohl mittlerweile bereits ein nicht unbeträchtlicher Teil des Volks auf der Straße lebt. Oder ist das die so viel propagierte Freiheit?





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