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20.09.2011 Abolghassem Bayyenat

US-Sanktionen und die wirtschaftliche Realität in Iran


Grafik über den Nicht-Öl-Sektor in Iran

Der Nicht-Öl-Sektor in Iran zeichnet in den letzten Jahren ein starkes Wachstum.

Der jüngste Bericht des Internationalen Währungsfond (IWF) über die iranische Wirtschaft hat bei manchen im Westen für Verstimmungen gesorgt, denn dieser bewertete die von der iranischen Regierung verabschiedeten Wirtschaftsreformen - und die darauf beruhenden optimistischen Wachstumsprognosen - positiv. Der IWF lobte insbesondere Irans viel umsorgte Subventionsreform, die über 100 Milliarden Dollar einsparte; der Großteil davon waren Energiesubventionen. „Die Subventionsreform wird voraussichtlich die Effizienz und Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft erhöhen, die Einkommensverteilung verbessern, Armut verringern und Iran helfen, sein volles Potenzial auszuschöpfen“, so der Bericht. Weiter unterstrich der Bericht, dass die „aus den erhöhten Energiepreisen finanzierten Direktüberweisungen bei der Verstärkung der heimischen Nachfrage, bei der Einkommensverteilung und bei der Armutsbekämpfung hilfreich waren“.

Es ist nicht das erste Mal, dass der IWF eine gemäßigt positive Einschätzung der wirtschaftlichen Aussichten Irans präsentiert hat. In den vergangenen Jahren hatte der IWF bereits die von der iranischen Regierung betriebene Reform der Wirtschaftsstrukturen in Form von Privatisierungen, Minimierungen der staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche Geschehen und der Liberalisierung der Preisentwicklung für Energie und für Landwirtschaftsprodukte positiv bewertet. Trotz alledem folgten dem letzten IWF-Bericht über die iranische Wirtschaft umfangreiche negative Reaktionen von verschiedenen Instanzen im Westen. Einige Öffnet externen Link in neuem FensterMainstream-Medien in den USA kritisierten heftig die IWF-Einschätzung der iranischen Wirtschaft, und zwar wegen dem, was sie als „die schmutzige Realität der durch die strikten internationalen Sanktionen, Misswirtschaft und Ineffizienz gebeutelten iranischen Wirtschaft“ bezeichneten.

Während einiger dieser negativen Beschreibungen der iranischen Wirtschaft – angesichts der noch immer vorhandenen strukturellen Probleme und der herrschenden Uneinigkeit unter den politischen Eliten über  gewisse wirtschaftliche Ziele und Grundsätze – ohne Zweifel berechtigt sind, stellen sie nicht die ganze Wahrheit dar. Es kann kaum bestritten werden, dass Iran in den letzten Jahren mutige wirtschaftliche Reformen durchgeführt hat, die das Potenzial haben, der iranischen Wirtschaft langfristig einen enormen Aufschwung zu verleihen. Die Reformen haben, auch wenn sie eher aus Notwendigkeit denn aus einem prinzipiellen Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Prinzipien durchgeführt wurden, bereits jetzt der iranischen Wirtschaft positive Impulse verliehen. Langfristig wird eine noch größere Effizienzsteigerung erwartet.

Die massenhafte Privatisierung von staatseigenen Betrieben in den letzten Jahren wurde zum Kennzeichen der wirtschaftlichen Reformen in Iran, die nach der Neu-Interpretation der entsprechenden Klauseln in Irans Verfassung und der darauf folgenden Bewilligung durch die wichtigsten politischen Instanzen in Iran implementiert wurden. Die Privatisierungen hatten bisher die staatliche Unterstützung für die wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten gerechtfertigt. Der Iran Privatization Organzation zufolge wurden in den letzten fünf Jahren 589 staatseigene Unternehmen mit Anteilen im Wert von fast 83 Milliarden Dollar privatisiert. Der Prozess der Privatisierung in Iran wurde nicht aufgrund von Zielen wie Wachstum und Effizienz initiiert. Vielmehr wurde er wegen der Verteilungsgerechtigkeit und   (diesen Punkt erkannte auch der IWF 2008)  aufgrund des Umstands, dass wegen des „Fehlens größerer privater Investoren, viele Objekte in Staatshand über nicht-monetäre Wege und Umsiedlungen zurück zu quasi-öffentlichen Institutionen wechselten“ betrieben. Dennoch konnten schon einige der privatisierten Betriebe, vor allem aus dem Telekommunikationssektor, nach ihrer Entstaatlichung ein positives Wachstum verzeichnen.

In den letzten Jahren hat auch Irans Nicht-Öl-Sektor verstärkt zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes beigetragen. Obwohl Irans großer und zu einem großen Teil noch immer unter Protektion stehender heimischer Markt traditionell als Eindämmung gegen die Ausweitung der Nicht-Öl- Exporte fungiert hat, trug die Privatisierung von Staatsbetrieben in den letzten Jahren zur Steigerung der iranischen Nicht-Öl-Exporte bei. Das gilt vor allem für Energie- und Industrieerzeugnisse. Angesichts der Tatsache, dass petrochemische Produkte den Löwenanteil unter den Nicht-Öl-Exporten ausmachten, scheint es plausibel, den Aufschwung der letzten Jahre bei diesen Exporten zum Teil auch der Privatisierung staatseigener Betriebe zuzuschreiben.

Wie diese Grafik zeigt, haben sich die iranischen Nicht-Öl-Exporte während des konstant steilen Anstiegs der letzten sechs Jahre vervierfacht und sind von 6,4 Milliarden Dollar 2004 auf einen Wert von 26,3 Milliarden Dollar Ende 2010 geklettert.

Obwohl die Öl-Exporte vor dem Hintergrund der hohen Ölpreise der letzten Jahre immer noch einen großen Teil der Auslandsdevisen ausmachen, ist der Anteil von Nicht-Öl-Produkten unter den Exporten Irans über die letzten Jahre konstant gestiegen, so dass er heute fast 30 Prozent der Exporte Irans abdeckt.

Privatisierungen und andere wirtschaftliche Reformen scheinen auch bei der Steigerung der Attraktivität Irans für ausländische Direktinvestitionen (FDIs) eine Rolle gespielt zu haben. Trotz des drastischen Abwärtstrend der globalen FDIs der letzten Jahre zeigt der World Investment Report der UNCTAD (UNO-Behörde mit dem Ziel der weltweiten Förderung von Handel und Entwicklung), dass die absoluten FDIs nach Iran während der letzten sechs Jahre fast um das 13-fache gestiegen sind. Wie eine andere Grafik zeigt, haben die FDIs in Iran nach zwei Jahren Nicht-Wachstum nach dem Jahr 2008 wieder einen starken Anstieg vollzogen und ein Wachstum von 86 Prozent im Jahr 2009 und 20 Prozent im Jahr 2010 getätigt.

Während das Volumen der FDIs in Iran, verglichen mit dem anderer Entwicklungsländer wie Irans regionalen Konkurrenten Saudi-Arabien oder Türkei, noch immer bescheiden ist, zeigt es dennoch deutlich Irans verbesserte Fähigkeiten, ausländische Direktinvestitionen anzulocken.

Trotz dieser ganzen Argumente hat Iran noch einen weiten Weg vor sich, um seine Abhängigkeit von den Öl-Exporten zu reduzieren und um die notwendigen Bedingungen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum hervorzubringen. Der aktuelle Atomkonflikt zwischen Iran und dem Westen hat beide Seiten dazu genötigt, bestimmte Aspekte der wirtschaftlichen Realitäten Irans politisch motiviert zuungunsten anderer hervorzuheben. Die iranischen Verantwortlichen neigen verständlicherweise dazu, westliche Sanktionen gegen Iran als ein Glück im Unglück darzustellen; und sie zeigen den USA und ihren Verbündeten öffentlich entsprechende ironisch Dankbarkeit für das Aufzwängen der Sanktionen, haben diese doch Iran dazu angetrieben manche der in Iran stark kritisierten wirtschaftlichen Reformen zu implementieren. Während solche Behauptungen einen signifikanten Anteil Wahrheit in sich bergen, ignorieren sie die hohen Umstellungskosten, die die iranische Wirtschaft als Folge der ausgeweiteten westlichen Sanktionen tragen muss. Dass Irans Staatsoberhaupt das aktuelle iranische Jahr als das „Jahr des wirtschaftlichen Jihads“ bezeichnet und wirtschaftliche Disziplin und effizienteres Wirtschaften gefordert hat, zeigt auch, dass Irans oberster politischer Führer mit dem aktuellen Status der iranischen Wirtschaft und den Erwartungen von noch mehr ökonomischen Herausforderungen zumindest nicht voll zufrieden sind.

Andererseits neigen die Verfechter der aktuellen westlichen Konfrontationsstrategie dazu, die Auswirkungen der Sanktionen auf die iranische Wirtschaft dahingehend zu übertreiben, dass sie ein finsteres Bild über Irans ökonomische Realitäten an die Wand malen und die vielen positiven Elemente ignorieren. Diese Haltung macht insofern Sinn, dass eine Anerkennung der Ineffektivität der Sanktionen gegen Iran bedeuten würde, dass alle vorherigen Versuche der weltweiten Einflussnahme auf viele Länder mit dem Ziel, die Sanktionen gegen Iran zu verstärken, vergebens waren und keine Früchte hervorbrachten. Die politischen Implikationen einer solchen Bewertung wären entweder Versöhnung und politischer Kompromiss mit Iran oder noch riskantere Ansätze und Konfrontation mit dem Land. Beides geht mit hohen politischen Risiken für die US-Führung einher und liefert im Westen weitere Anreize, ein desaströses Bild von den wirtschaftlichen Realitäten in Iran zu zeichnen. Was in diesem Konflikt untergeht ist die Tatsache, dass die Entwicklung einer vernünftigen und realistischen Strategie gegenüber Iran von allen Betroffenen ein Erkennen und Aufzeigen der vollständigen Tatsachen verlangt und nicht nur punktuelle und halbe Wahrheiten.

Abolghassem Bayyenat ist unabhängiger politischer Analyst und promoviert derzeit in Politikwissenschaften an der Syracuse Universität in New York. Auf seiner Website nimmt er regelmäßig zu aktuellen Entwicklungen in Irans Außenpolitik Stellung. Der vorangegangene Artikel "U.S. Sanctions and Iran’s Economic Realities" wurde übersetzt von Leo Schmitt.


Buchmann20-09-11

Danke sehr! Bayyenat ist ehrlich in dem was er schreibt.

Homayoun H.20-09-11

Sehr guter differenzierter Artikel. Merci

Vitali20-09-11

Stimmt! Deswegen sollen die Wirtschaftsdaten auch nicht mehr veröffentlicht werden. Keiner soll wissen, dass es steil nach oben geht!

Demokrat21-09-11

Privatisierung und Subventionsabbau beschleunigen bei Vorhandensein makroökonomischer Stabilität Strukturwandel und Wachstum.
Die iranische Wirtschaft ist durchzogen von Korruption und Vetternwirtschaft. Der jüngste Korruptionsskandal im Bankensektor des Landes, bei dem 3 Milliarden Euro durch Regierungsbeamte veruntreut wurden, verdeutlicht abermals die Schwäche der iranischen Wirtschaft. Falsche Geld- und Zinspolitik und die Barzahlungen an die Bevölkerung zur Kompensation des Subventionsabbaus haben die Inflation in astronomische Höhen gebracht, als Konsequenz ist eine zunehmende Verarmung zu beobachten.
Der Teufel liegt oft im Detail, der Autor würdigt die massive Privatisierung, versäumt aber zu erwähnen, dass die Privatisierung nicht nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten organisiert wurde.
Sie wurde zum Nachteil der wirtschaftlichen Entwicklungskraft in die Klauen der Revolutionsgarden gelegt. Nicht nur, dass dadurch viele ehemals gesunde Unternehmen mittlerweile ruiniert sind, der Telekommunikationssektor wird noch stärker zur Überwachung und Unterdrückung der Menschen eingesetzt.
Wenn man die Güte einer Wirtschaft beurteilt, bedarf es Referenzen. Im Falle Irans, dass vor der Revolution wirtschaftlich stärker war als die Türkei und auf selbem Niveau wie Korea muss man feststellen, dass trotz hohem Potential realtiv wenig erreicht wurde.

Vitali21-09-11

Hallo Vitali,

wenn du auch nur eine staatliche Quelle findest, die das behauptet, dann kannst du dir selbst auf die Schultern klopfen!

Der gesamte IWF Report, von dem du oben gelesen hast, baut auf den aktuellen iranischen Daten auf. Eine IWf Delegation war für zwei Wochen zu Besuch in der iranischen Zentralbank und zusammen wurden diese Daten aufgearbeitet. Der report wurde Anfang August geschrieben - und jetzt denke nochmal bitte über deien Aussage nach.

Bertha21-09-11

3 Milliarden Euro durch Regierungsbeamte ist ja ein knaks. Wenn ich daran denke, welche Prozesse im Hintergrund wirkten (legale Lobbyarbeiten von Banken & Co. für maßlose Deruligierungen), die zu der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise führte, kann ich vor dem iranischen Staatsapparat nur den Hut abnehmen.

Schubert21-09-11

@Bertha

Nicht zu vergessen den Fall in der französischen Bank, wo ein einzelner mehrere Milliarden verpulvert hat!

http://www.zeit.de/online/2008/05/societe-generale-betrugsskandal

Iraner21-09-11

Dies Ausführungen von Demokrat sind so typtisch für einen partaiischen politischen Aktivisten, der sich als neutraler Beobachter darstellt und in der Essenz seriös Unseriöses behauptet.

Orientalist21-09-11

Bzgl. der Revolutionsgarden ein Artikel zur Empfehlung: http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/MH20Ak03.html

Humanist21-09-11

@Iraner,

im Gegensatz zu Ihnen begründet er seine Thesen, Sie nicht.

Humanist21-09-11

Liebe Bertha,
drei Milliarden sind deswegen kein Knaks, weil sie ca. 1-2% des BIP im Iran sind. Ein weiterer Grund ist, dass die Regierung Ahmadinejads behauptet die reinste und unkorrupteste Regierung nach der Revolution zu sein. Ein weiterer Grund ist, dass Millionen Menschen nicht wissen wie Sie Ihre Miete oder Ihr Essen bezahlen sollen. Wenn Sie Ihren Hut vor dem iranischen Apparat ziehen, dann tun Sie dieses auf dem Rücken der iranischen Bevölkerung.

Humanist21-09-11

@Schubert,
vergleiche zwischen Frankreich und Iran hinken. Frankreich ist ein reiches Land mit einer weitgehend funktionierenden Demokratie. Im Iran herrschen Mullahs gegen den Willen der Menschen, viele hunger und viele sind Arbeitslos.

Iraner21-09-11

In Iran gibt es mehr als zwei Millionen Staatsangestellten. Wenn irgendwo irgenetwas klaut, ist Ahmadinejad schuld. Demnächst ist wohl Ahmadinejad auch für das kommende schlechte Wetter in Winter verantwortlicht.

Die Ausführungen von Demokrat brauchen keine Widerlegung, weil diese die Fakten widersprechen.

Ach ja, Armut in Iran: http://www.indexmundi.com/g/g.aspx?c=ir&v=69&l=de

Steffen21-09-11

Allmählich verstehe ich die Logik mancher Diskutanten.

Alles Schlechte was in einer Demokratie geschieht ist Gut und alles Gute was in der Islamischen Republik geschicht ist Schlecht.

Thomas06-10-11

Die Reformen im Iran waren sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung und vor allem die Subventionen auf fossile Brennstoffe abzubauen wird sich wohl auf dauer auch ökologisch und was die frischluft in iranischen Grossstädten betrifft als Segen erweisen.
Anderererseits bin ich bei IWF Lob auch immer etwas hellhörig.
Wo hier die einkommensverteilung verbessert und die armut bekämpft wurde ist mir noch nicht ganz schlüssig zumal man nicht immer von einem 1:1 ausgleich beim Subventionsabbau ausgehen kann.
Mich würde hier eine detaillierterer Bericht bzgl. der Auswirkungen gerade auf die Unterschicht interessieren.





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