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19.08.2011 Nabi Sonboli

Das Dschihad-Verständnis in der Islamischen Republik Iran


Das Emblem vom „Dschihad des Aufbaus“ (Dschahaade Saazandegi)

Das Emblem vom „Dschihad des Aufbaus“: Alle zusammen, Dschihad des Aufbaus, gegr. 1979.

Nabi Sonboli ist Experte am Institut für Politische und Internationale Studien (IPIS), das 1983 in Teheran gegründet worden ist. Es ist der erste in Iran gegründete Think Tank nach der Islamischen Revolution. Im vorliegenden Artikel schreibt Nabi Sonboli exklusiv für Irananders über das Dschihad-Verständnis in Iran und zeigt auf, dass dort die Terminologie „Dschihad“ eher im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Sinne Verwendung findet.

Der Begriff "Dschihad" ist im islamischen Kulturkreis ein positives Wort mit vielen Bedeutungen. Während die Bezeichnung für einen legitimen Krieg aus religiöser Sicht nur eine der vielen Bedeutungen des Begriffs darstellt, wird der Begriff im Westen meistens in dieser Bedeutung und in Verbindung mit anderen Wörtern - wie Terrorismus und gewalttätige Aktivitäten - verstanden.

Terror hat nichts mit "Jihad" zu tun. Der Missbrauch von solchen politisch-religiösen Konzepten verstärkt die bereits bestehenden Missverständnisse und Fehlwahrnehmungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen und führt zu einer verstärkten Entfremdung von im Westen lebenden Muslimen.

Allgemein bedeutet "Jihad" sein Bestes um Gottes Willen zu geben. So eine Anstrengung kann in vielen Bereichen praktiziert werden. In Bezug auf das persönliche Leben wurde der Große Jihad als eine Selbstläuterung definiert, die Selbstzügelung, Selbstbeherrschung und Maßhaltung einschließt. Es ist ein intra-persönlicher Prozess, in dem das Individuum alle seine Anstrengungen aufwendet, um negative Charakterzüge zu überwinden. Die Bezeichnung Großer Dschihad für die Selbstläuterung offenbart die Wichtigkeit einer solchen Anstrengung in der islamischen Lehre. Es stellt sich die Frage, ob ein jemand, der nicht sein oder ihr Bestes in diesem Sinne gegeben hat, zu einem Dschihad andere aufrufen darf. Schiitische Gelehrte haben den "Dschihad" in der Regel als legitime Verteidigung und nicht als Angriff definiert.

Als gesellschaftlicher Begriff wurde "Jihad" zur Betonung der Wichtigkeit eines bestimmten Verhaltens verwendet, wie zum Beispiel die Bemühung, legitime Güter zur Bedürfnisbefriedigung der Familie zu erlangen. In der Politik wurde er außerdem verwendet, um die Rolle der Unterstützung von Gerechtigkeit gegenüber unterdrückerischen Despoten hervorzuheben.

Des Weiteren lieferten Gelehrte neue Auslegungen. Nach der Revolution in Iran fand der Ausdruck "Jihad" in unterschiedlichen Bedeutungen Verwendung und verschiedene Organisationen wurden - basierend auf diesen Begriff - gegründet. Es gibt den „Jihad des Aufbaus“, den „Landwirtschaftlichen Jihad“, den „Akademischen Jihad“ usw.. Verschiedene Institutionen wurden zur Umsetzung dieser Ideen gegründet und sie gehörten zu den erfolgreichsten Organisationen, die nach der Revolution in Iran bestand hatten. Auf diesen Begriff bauend gingen viele junge Studenten in weit entfernte Dörfer, um die Bauern zu unterstützen. Tausende von Quadratkilometer Acker, tausende Schulen und viele Krankenhäuser wurden von den Jihadisten gebaut.

Um den „Dschihad des Aufbaus“ zu etablieren, betrachtete Ayatollah Khomeini ihn wichtiger als die freiwilligen Pilgerfahrten nach Mekka. Die wesentliche Absicht war die Unterstützung der ärmeren Schichten der Gesellschaft, vor allem auf dem Land.

Die zweite Institution die nach der Revolution in Iran aus der Taufe gehoben wurde, war der „Akademische Dschihad“ [1]. Er mobilisierte junge Wissenschaftler, die daran interessiert waren, zur Entwicklung ihrer Gesellschaft durch ihre wissenschaftlichen Fachkenntnisse beizutragen. Nach und nach wurden an vielen iranischen Universitäten Organisationen des „Akademischen Dschihads“ geschaffen. Heute sind sie sowohl in der Bildung als auch in der angewandten Forschung aktiv. Als Bildungseinrichtungen organisieren sie in verschiedenen Bereichen spezialisierte Kurse und als Forschungsinstitutionen agieren sie als Bindeglied zwischen Gesellschaft, Industrie und Universität. Der „Akademische Dschihad“ verfügt im Bildungsbereich über das größte Netzwerk des Landes. Der „Akademische Dschihad“ der Teheraner Universität nimmt jährlich 70.000 Bewerber in praxisorientierten und spezialisierten Kursen auf. Die meisten nationalen wissenschaftlichen und industriellen Projekte wurden in Iran durch solche wissenschaftlichen Dschihadisten durchgeführt. Sie haben 16 wissenschaftliche Fachzeitschriften herausgebracht und meldeten über 200 neue Erfindungen. 1100 Artikel wurden in den letzten drei Jahrzehnten von den akademischen Dschihadisten in ausländischen Fachzeitschriften publiziert [2].  Das "Royan Institut", eines der Errungenschaften des wissenschaftlichen Dschihads, ist mittlerweile führend in der Stammzellenforschung und hat außerdem eine der besten Kliniken für die Behandlung von Unfruchtbarkeit [3].

Ein wichtiger Punkt ist, dass selbst während des achtjährigen Krieges gegen Saddams Irak, der Begriff Dschihad in Iran in diesem Zusammenhang kaum Verwendung fand. Der Begriff, der üblicherweise verwendet wurde, war Heiliger Verteidigungskrieg. Zum Verteidigungskrieg trug aber selbst der „Dschihad des Aufbaus“ durch den Aufbau von Straßen, durch logistische Hilfe und durch den Bau von Bollwerken seinen Anteil bei.

Wie die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten zeigen, sind die echten Herausforderungen der muslimischen Länder wirtschaftliche, soziale und politische Probleme. Fehlende Demokratie, wirtschaftliche Ineffizienz, schlechte Bildungssysteme und Armut brauchen jeweils eigene Interpretationen des Dschihads. In Iran wurde das erreicht. Anstatt sich extremistischen Gruppen in Pakistan und Afghanistan anzuschließen, können die Muslime, die ein Interesse daran haben, ihre muslimischen Brüdern und Schwestern zu unterstützen, den muslimischen Gesellschaften helfen, ihre wirtschaftlichen, akademischen und politischen Probleme zu überwinden. Die letzten zwei Jahrhunderte haben sehr klar gezeigt, dass die muslimischen Länder, ohne eine nachdrückliche Entwicklung, weiterhin eine Spielwiese für Weltmächte und lokale Extremisten sein werden.

Eine umfassende Entwicklung tritt nur durch gemeinschaftliche Kooperationsbemühungen all derer ein, die sich um das wirkliche Problem ihrer Völker und dem Schicksal ihrer Nationen sorgen. Das Ringen um Macht ist dagegen das Problem und nicht die Lösung im Nahen und Mittleren Osten.

Im Großen und Ganzen ist Dschihad ein breites Konzept mit vielen verschiedenen Bedeutungen. Richtig angewandt kann es alle sozialen Potenziale mobilisieren und die jüngeren Generationen dazu motivieren, an der Lösung der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Probleme, die in den muslimischen Gesellschaften herrschen, teilzunehmen. Keines dieser Probleme kann mit militärischen Mitteln und Gewalt gelöst werden. Radikale Gruppen und Extremisten haben die Situation durch den Rückgriff auf Gewalt nur verschlechtert. Der Schah, Saddam, Bin Laden, die Taliban, Gaddafi, Ben Ali, Mubarak, alle spielten die gleiche Rolle, nur auf eine andere Art und Weise: die Schwächung der islamischen Länder und die Weichenstellung für militärische Interventionen, Besatzung und Sanktionen.

Diejenigen, die um das Befinden der muslimischen Gesellschaften besorgt sind, müssen wissen, dass in der heutigen Welt der wichtigste Dschihad - nach der Selbstläuterung - der akademische und wirtschaftliche Dschihad zur Überwindung der bestehenden Schwächen ist. So lange der Dschihad für Gott und nicht für materielle Errungenschaften durchgeführt wird, ist es ein guter Ansatz für wirtschaftliche und soziale Entwicklungen. Das religiöse Umfeld des Nahen Ostens und Nordafrikas bietet die Möglichkeit, ihn umzusetzen.

 

[1] In der Englischen Übersetzung stellt sich die Einrichtung als “The Academic Center for Education, Culture and Research (ACECR)” vor, während der Name in Farse “Jahad e Daneshgahi” (Akademischer Dschihad) lautet. Momentan ist er stärker in der angewandten Forschung aktiv. Website: www.acecr.ir

[2] "Die Errungenschaften des 'Akademischen Dschihads' während der letzten drei Jahrzehnte” (Faris):  http://www.irna.ir/NewsShow.aspx?NID=10301

[3] Das "Royan Institut" hat 45 wissenschaftliche Mitarbeiter und 53 Labortechniker, die in sechs Abteilungen tätig sind: Stammzellen, Embryologie, Gentechnik, weibliche Infertilität und Andrologie.


sigrun27-08-11

Das Dschihad-Verständnis ist wirklich das, was mir im Islam am meisten gefällt. In unserer modernen Gesellschaft ist ein solches Verständnis völlig unter gegangen.
Natürlich versucht die westliche Propaganda den Begriff völlig negativ und falsch zu besetzen.





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