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15.06.2011 Shayan Arkian

Scholl-Latour kritisiert Saudi-Arabien und sieht Iran als strategischen Partner


Dr. Peter Scholl-Latour

Dr. Peter Scholl-Latour

Der deutsch-französische Journalist, Autor, Publizist und Dokumentarfilmer Dr. Peter Scholl-Latour (87) gilt seit den 1950er Jahren als aufmerksamer Beobachter und ausgewiesener Kenner der Weltpolitik. Durch regelmäßige, zahllose Auslandsreisen avancierte Scholl-Latour zu dem Auslandskorrespondenten des deutschen Journalismus. Seine Reiseerfahrungen, die er in Afrika, Asien und dem Nahen Osten machte, fanden Niederschlag in zahlreichen Sachbüchern. Darüber hinaus entwickelte sich Scholl-Latour nach der Publikation "Allah ist mit den Standhaften. Begegnungen mit der islamischen Revolution" (1983) zum profilierten Kenner Irans.

Irananders: Herr Scholl-Latour, weshalb springt der revolutionäre Funke der arabischen Länder nicht auf Iran über?

Dr. Peter Scholl-Latour: In Form der „Grünen Bewegung“ erlebte Iran bereits 2009 einen Aufstand, dessen Energie verpuffte und der daher heute noch geschwächt ist. Deshalb konnte der arabische Funke nicht auf Iran überspringen. Man muss zudem bedenken, dass sich die Khomeini-Revolution 1979 - bis auf die Schiiten im Libanon und im Irak – auch nicht auf die arabischen Länder ausdehnte. Die Gründe hierfür sind die Unterschiede, die zwischen Iran und den arabischen Ländern vorherrschen. Die Iraner sind nicht wie die meisten Araber Sunniten, sondern Schiiten; und sie selbst sind keine Araber, sondern mehrheitlich Perser. Es handelt sich also um nahezu zwei verschiedene Kulturräume. Hinzuzufügen ist, dass das, was als der arabische Frühling bezeichnet wird, bisher selbst nur in Tunesien und Ägypten stattfand und der Ausgang bleibt ungewiss. Überdies scheint es in der Folge der militärischen Wirren in Libyen, dass revolutionäre Umstürze in der arabischen Welt an Attraktivität verloren haben. Der Westen ging in Libyen davon aus, dass Gaddafi kurz vor dem Sturz stände. Man hatte seine Anhängerschaft und seine noch schlagkräftige Armee unterschätzt. Interessanterweise waren die Amerikaner weitaus zögerlicher als die Europäer.

Irananders: Weshalb erhielten die Unruhen in Libyen medial einen größeren Raum als die Unruhen im kleinen Inselstaat Bahrain? Liegt es wahrscheinlich an der geographischen Größe?

Dr. Peter Scholl-Latour: Zum einen ist Libyen dem Westen geographisch näher gelegen und Gaddafi ist im Westen seit jeher als Exzentriker bekannt. Bis 2005 galt er im Westen schließlich auch als Terrorist. Das Beispiel Bahrain zeigt aber, dass es dem Westen nicht überall um Demokratie und Menschenrechte geht. Als das Regime in Bahrain kurz vor dem Kippen war, sind saudische Truppen in das Land einmarschiert, um dem König zur Hilfe zu eilen – offensichtlich mit amerikanischer Zustimmung. Der Einfluss Irans wäre am Golf gestiegen, wenn die Mehrheitsbevölkerung der Schiiten in Bahrain an die Macht gelangt wäre.

Irananders: Zurück zum Vergleich zwischen Iran und den arabischen Staaten. Besitzt Iran mehr Mechanismen, die Kritiken im Rahmen der Verfassung zu lenken und so einen kollektiven fundamentalen Volkszorn zu verhindern?

Dr. Peter Scholl-Latour: In Iran ist tatsächlich die Möglichkeit, sich freier auszudrücken, eher gegeben als beispielsweise in Saudi-Arabien. Ich habe in keinem anderen Land der Region erlebt, dass man so offen über die Verantwortlichen schimpfen kann wie in Iran.

Irananders: Jahrelang wurde der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad quasi als der Alleinherrscher Irans in der veröffentlichten Meinung dargestellt. Spätestens nach einer Meinungsverschiedenheit um den Posten des Geheimdienstministers zwischen ihn und Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei erkennen westliche Medien allmählich, dass es in Iran mehrere Machtzentren gibt und man spricht nun von Machtkämpfen. Wieso werden die konkurrierenden Machtzentren dort nicht als eine Art gesunder Pluralismus verstanden, sondern stets als destruktive Machtkämpfe wahrgenommen? Was sind die Ursachen dieses Verständnisses?

Dr. Peter Scholl-Latour: Insbesondere die Journalisten sind im Fall Irans ziemlich voreingenommen. Da in Iran der Klerus mitherrscht und man ja schon über die eigene christliche Religion kaum noch Bescheid weiß, fällt es dem Europäern schwer, den Überblick in einem religiös begründeten Staat wie Iran zu behalten.

Irananders: Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, nach der Bildung einer Hisbollah-nahen Regierung im Libanon und schon zuvor durch den Sturz Saddam Husseins im Irak und der Taliban in Kabul, zeichnet sich immer mehr eine Machtverschiebung in der Region zugunsten Irans und zu Ungunsten der US-Verbündeten vor Ort ab. Was sind Ihre Prognosen dazu?

Dr. Peter Scholl-Latour: In der Tat hat der Sturz Saddam Husseins Teherans Position in der Region gestärkt. Aber militärisch kann Iran natürlich nicht mit den USA Schritt halten. So konnte Iran in Bahrain nicht zum Vorteil der Schiiten intervenieren. Andererseits ist die Verteidigungskapazität Irans beachtlich. Das Land hat 80 Millionen Einwohner und die Pasdaran sind inzwischen eine gut aufgestellte Truppe. Ein Bodenkampf gegen Iran ist nicht zu gewinnen. Dazu kommt, dass zwar nur eine geringe Marine Irans besteht, aber durch die kleinen Schnellbote und ihrer Raketen ist die Straße von Hormuz – durch die  40 % des maritimen Öltransports stattfindet – leicht  zu blockieren. Ich weiß, dass sowohl CIA als auch hochrangige US-Militärs einen Iran-Krieg bereits während der Amtszeit von George W. Bush Junior abgelehnt haben. Sie mobilisierten US-Senatoren, um den Präsidenten und seinen Vize Dick Cheney davon abzuhalten, Iran anzugreifen. Heute ist die Situation aus westlicher Sicht noch prekärer: alle westlichen Militärinterventionen in der Region sind bisher gescheitert. Es wird weder einen kriegerische Aktion von Seiten der USA noch von Israel gegen Iran geben.

Irananders: Bei vielen Themenkomplexen - wie in der Frage Irak oder Afghanistan - gibt es überschneidende große Interessen zwischen Iran und dem Westen. Auf der anderen Seite gibt es in genau diesen Fragen starke Differenzen zwischen dem Westen und Saudi-Arabien. Einigen wenigen Experten zufolge sollte daher der Westen Iran als neuen strategischen Partner anerkennen und seine Partnerschaft mit Saudi-Arabien aufgeben. Welche Hindernisse stehen einem solchen Schritt im Weg?

Dr. Peter Scholl-Latour: Ich bin einer der Ersten gewesen, der Iran als strategischen Partner Europas eingeordnet hat. Es gibt keinen natürlichen Konflikt zwischen Europa und Iran. Der islamistische Terrorismus geht vor allem vom Wahabismus aus, der weltweit aus Saudi Arabien unterstützt und finanziert wird. Opfer dieser Politik sind nicht nur der Westen, sondern auch Muslime und darunter auch Sunniten. Insbesondere aber richtet sich der Wahabismus gegen den schiitischen Iran. Bereits Ende der 90er Jahre töteten Taliban-Kämpfer iranische Diplomaten in Afghanistan. Der irakische Top-Terrorist Abu Musab az-Zarqawi war vermutlich in Jordanien oder in Saudi-Arabien auch im Geheimdienst tätig. Seine Anschläge richteten sich vor allem gegen die Schiiten im Irak. Der 11. September war kein Anschlag von Afghanen, sondern ein saudisches Unternehmen. In Afghanistan selbst was bis dahin der Name Al-Qaida so gut wie unbekannt.

Irananders: Welche Hindernisse existieren in den westlichen Hauptstädten, um Iran als potenziellen Partner anzunehmen?

Dr. Peter Scholl-Latour: Das größte Problem ist die Berichterstattung über Iran, wobei Iran es einem auch nicht leicht macht.

Irananders: Herr Scholl-Latour, wir danken Ihnen für das Gespräch. Es war uns eine Ehre.


Markus Merk15-06-11

Das ist ja ein Feuerwerk an guten Interviews auf dieser Seite - seltsam, dass die kommerziellen Angebote noch glauben eher mit abstruser Propaganda zu gewinnen.

Scholl-Latour spricht noch was an: "Da in Iran der Klerus mitherrscht und man ja schon über die eigene christliche Religion kaum noch Bescheid weiß, fällt es dem Europäern schwer, den Überblick in einem religiös begründeten Staat wie Iran zu behalten."

Bedauerlicherweise sind es nicht nur ideologische Scheuklappen, die ein Hindernis sind, sondern - mit Verlaub - auch die Inkompetenz (die freilich beseitigt werden kann). Ein großes Problem dahinter ist der Mangel an wahrheitsverbundenen Fachleuten. Selbst wissenschaftliche Texte in Fachzeitschriften zum Thema Iran sprudeln nur so von Phantasie, in vermeintlich seriösen Zeitungen werden die einfachsten Zusammenhänge auch in Schwerpunktberichten ausgeblendet und in politischen Stiftungen jeder Coleur ist der Blick immer monotoner geworden.
Im Ergebnis sind heute sehr wenige Texte bekannt, die unveroreingenommen einen Zusammenhang aus dem Iran beschreiben oder erklären. Es ist ein Trauerspiel der Eliten und nur ein Randaspekt eines größeren Problems unseres Landes.

Abdullah15-06-11

"Der 11. September war kein Anschlag von Afghanen, sondern ein saudisches Unternehmen."


Das ist richtig.

Perser16-06-11

Zitat: "Ich habe in keinem anderen Land der Region erlebt, dass man so offen über die Verantwortlichen schimpfen kann wie in Iran."

Ich sage nur Türkei.

Aber Fakt ist die islamische Republik Iran ist seit 2 Jahren tot und wird künstlich durch die Repression der Menschen am Leben gehalten.
Der Islam und die schiitischen Kleriker werden im Iran keine Rolle mehr spielen.
Das weiß sogar Ahmadinedjad und versucht sich von denen los zu lösen.

KH16-06-11

Die Menschen wollen Freiheit. Assad (erst der Vater dann der Sohn) hat die Syrer über 40 Jahre erstickt. Am Ende steht wie man auch in Syrien sieht der Zerfall. Es ist der Laufe der Dinge. Es ist der Grund warum wir an Gott glauben. Es ist der Grund warum wir nie den Kampf aufgeben werden.
Am Ende siegt immer die Freiheit.

In diesem Sinne
Ya Hossein Mir Hossein

@Perser16-06-11

Ja, die Türkei, die unter dem Freund Irans, der Islamist Erdogan, demokratisiert wurde. Da haben wir es wieder.

Wolfgang16-06-11

Die Menschenrechtssituation in Iran ändert sich nicht durch wirtschaftliche Sanktionen. Handel schafft Wandel. Dialog und nochmals Dialog, das sollte doch wohl zwischen kulturbewußten, sich gegenseitig respektierenden Nationen möglich sein.
Es ist erfrischend, Interviews dieser Art zu lesen. Gerne mehr davon!

David10-07-11

Mit dem Bewußtsein dessen, was Herr Scholl-Laoure als ein großer Kenner des Nehenostens und Islams über die Wurzeln des Terrirismus erzält, scheinen Äußerungen wie von Herrn Wirtschaftsstaatssekretär Hans-Joachim Otto (FDP) absolut lecherlich, in dem er zur Rechtfertigung von möglichen Panzergeschäften mit Saudiarabien behauptet, dass Saudi Arabien unser Partner im Kampf gegen Terrorismus wäre.

Herr Statsskretär und sein Chef dürfen nicht vergessen, dass grade in diesen Tagen die Saudischen Panzer und Militärfahrzeuge die Demoktatiebewegung in Bahrein zerschlagen und diese Fahrzege mit dem Blut der Jungen Bahreinis befleckt worden sind. Ist das ein Freund der auch unser Partner ist?





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