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30.03.2011 Sadegh Zibakalam

„Bewegungen in der arabischen Welt sind nicht grundsätzlich antiwestlich“


Sadegh Zibakalam

Sadegh Zibakalam ist Kritiker der Ahmadinejad-Regierung und gehört zu den liberalen Denkern Irans.

Sadegh Zibakalam ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Tehran und erscheint mit seinen Analysen und Kommentaren regelmäßig in iranischen und internationalen Medien. Folgender Artikel erschien im englischen Original auf Iranian Diplomacy und wurde durch Iranicum ins Deutsche übersetzt.

Das wichtigste internationale Ereignis von 1389 [Anm.: nach iranischer Zeitrechnung endet das Kalenderjahr zu Frühlingsbeginn] war meiner Meinung nach die Entwicklung in der arabischen Welt, die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben. Der Grund die arabischen Aufstände als wichtigstes Ereignis zu erklären, liegt in den langfristigen Konsequenzen dieser Entwicklungen für den gesamten Mittleren Osten und Nordafrika.

Ich glaube, dieser Werdegang wird alle Länder der Region beeinflussen; Iran, Syrien und Saudi-Arabien mit eingeschlossen. Dieser Effekt mag auf kurze Sicht nicht direkt greifbar sein. Doch langfristig gesehen, wird es fundamentale Auswirkungen auf die gesamte Region haben.

Anders als die gängigen Schilderungen in Iran, die davon ausgehen, dass die Massenbewegungen anti-amerikanisch, anti-westlich und von der iranischen Außenpolitik inspiriert seien, stehen diese Bewegungen in keinerlei Zusammenhang mit der Werteauffassung der Außenpolitik Irans.

Während unsere außenpolitischen Beamten weiterhin auf diese Sicht beharren, glaube ich persönlich viel eher, dass die Bewegungen nicht in kulturellem oder zivilem Konflikt mit dem Westen stehen, sondern gegen die Tyrannei und Diktatur, die über die arabische Welt und Nordafrika herrscht, opponieren.

Diese in den letzten Monaten in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten enstehenden Bewegungen, streben nach politischer Freiheit und freien Wahlen. Sie wünschen sich Regierungen, welche nach dem Volkswillen geführt werden und vor dem Volk auch verantwortlich sind. Regierungen, die die Rechte ihrer Bürger respektieren und sich nicht über das Volk erhaben sehen.

Die Menschen dieser Länder verlangen Rechtsstaatlichkeit und rechenschaftspflichtige und zurechnungsfähige Regierungen, in denen die Erteilung von Machtbefugnissen und Mandate strikt nach den Gesetzen des Landes erfolgt. Diese Forderung wurde der islamischen Bevölkerungen dieser Länder jahre- und jahrhundertelang aberkannt.

Es muss aber klargestellt werden, dass neben Muslimen alle Schichten an den Bewegungen beteiligt sind: Sekulare, Liberale, Linke und diverse andere politische und religiöse Strömungen.

Es könnte aber sein, dass die Regierungen, die die Menschen dann in freien Wahlen wählen könnten, islamisch sein werden, wenn diese Bewegungen denn in der Lage sein sollten die Tyrannei und Diktatur zu bezwingen.

51% der Stimmen reichen aus, um eine islamische Regierung in Ägypten oder Syrien zu formen. Eine Möglichkeit besteht, ist jedoch Zukunftsmusik für die Bewegungen. Momentan ist der Kampf für freie Wahlen der Hauptpunkt in diesen Ländern.

Trotz der Erfolge dieser Bewegungen in einigen arabischen Ländern, konnte eine Bewegung keine Erfolge in einem der wichtigsten Länder des Mittleren Ostens, namentlich Syrien, verzeichnen, welches in meinen Augen eine Hochburg der Tyrannei, der Diktatur und Autokratie ist.

Das interessante und aufschlussreiche an den jüngsten Entwicklungen in den arabischen Ländern ist, dass als anti- imperialistisch und anti- amerikanisch betrachtete Regime wie das von Gaddafi in Libyen, ihre eigene Bevölkerung abschlachten, wohingegen als pro- amerikanisch betrachtete Regime wie jene von Hosni Mubarak in Ägypten oder Ben Ali in Tunesien von Waffengewalt gegen ihre Bevölkerung absahen.

Letztendlich muss festgestellt werden, dass die demokratische Bewegung in der arabischen Welt das wichtigste Ereignis weltweit und in den islamischen Ländern ist.

Allerdings sollte ein früher Erfolg dieser Bewegung nicht erwartet werden. Wir sollten nicht vergessen, dass Tyrannei und Despotismus historische Wurzeln in den arabischen und islamischen Ländern haben, und sollten nicht erwarten, dass autokratische Personen oder die herrschenden Schichten, die seit Jahrzehnten regieren, ihre Macht freiwillig abgeben. Besonders da einige von ihnen erhebliche Anteile am Gewinn des Verkaufs von Erdöl haben.

Daher sollten wir nicht hoffen, dass Demokratie und Freiheit allzuschnell die arabische Welt dominieren. Allerdings vermute ich, dass in der arabischen Welt und dem Mittleren Osten, Demokratie und Freiheit sich in Form des türkischen Modells durchsetzen werden.


Anoymous30-03-11

Zibakalam irrt sich. In Bahrain werden auch die Menschen "abgeschlachtet" - vor den Augen der US-Flotte.

Aber lehrreich ist diese Erkenntnis dennoch. Wenn ein Herrscher nichts zu verlieren hat, wird er bis zum Äußersten gebracht. Wenn die USA nicht hinter Mubarak standen würden, hätte er wahrscheinlich anders reagiert - denn zu verlieren hätte er dann weniger.

Le Mec31-03-11

Offen gesagt, ich finde seine Analyse jetzt nicht besonders spitzfindig. Natürlich hat Mubarak abgeschlachtet, und zwar so viel wie es ging. Die ägyptische Armee hat aber einfach nicht mehr auf ihn gehört. Genau hier hinkt der Vergleich mit Libyen, Gaddaffi hat, so verhasst er auch woanders ist, in seinen eigenen Stammesreihen genau den Rückhalt, den Mubarak nicht hatte. Darum hat er auch ausreichend Leute, die brutalstmöglich gegen die eigene Bevölkerung losgehen.

Ein letzter sehr wichtiger Punkt: Die Interpretation, dass die Massenaufstände in den arabischen Staaten einfach nur ein Ruf nach freien Wahlen und Demokratie sind ist eine falsche Interpretation. Die iranische Interpretation, dass diese Massenbewegungen vor allen Dingen ein Ruf nach Wiederherstellung der Würde und der Ehre und ein islamisches erwachen ist, ist in meinen Augen die offensichtlich richtige. Dass aus diesen Ur-Wünschen Forderungen wie die nach freien Wahlen entstehen ist ein positiver Nebeneffekt.

sarbaze rahbar01-04-11

Die Aufstände in der arabischen Welt sind ein Versuch endlich die Kolonialen und Neo Kolonialen Verhältnisse aufzubrechen. Warum sollten den die Aufstände perse Anti westlich sein? Sie sind anti Diktatorisch und gegen westliche Bevormundung aber nicht gegen die westliche Kultur als solches gerichtet. Der andere Punkt ist, das mit dem Westen oft die USA und England gemeint sind, die als Hauptakteure in der arabisch islamischen Welt auftreten. Mag sein, das die islamische Revolution von Iran nicht der Inspirator und der Initialzünder der arabischen Revolutionen war, tatsache aber bleibt, das die islamische Revolution von Iran JETZT ein Vorbild werden kann. Mit dem Effekt, das die Menschen so geduldig und Ausdauernd weiter Marschieren bis nicht nur die Marionetten Machtlos werden, sondern auch die Marionettenspieler USA und England, die im Hintergrund agieren und die zumeist sehr korrupten Herrscher erst zum Leben erweckt haben. Die Hinwegfegung des Diktator Shah und seiner US Versallen war ein historischer Akt in der Geschichte des Nahen Ostens. Die Araber kommen 30 Jahre zu spät mit der Erkenntnis, das sie brutale Herrscher gehabt haben. Die Revolutionen haben ausserdem alle aber eine unverkennbare gesamt islamische Note. Das einzige Werkzeug Diktatoren zu stürzen ist der Islam mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitsmodel. Früher oder später wird man aus der islamischen Revolution Irans, seine Lehren ziehen und auf die gleiche Art und Weise sich seiner Herrscher entledigen wie einst geschehen unter der ruhmreichen Führung von Imam Khomeini( möge er in den himmlischen Welten ruhen). Bis dahin müssen die Araber noch viel Lehrgeld und bLutzoll zahlen, bis sie erkennen, das weder West noch Ost, die Alternative sind, sondern der Islam selbst.

B. d.+B.01-04-11

In seiner respektablen Analyse widerspricht sich Prof. Zibakalam meiner Ansicht nach möglicherweise selber in der Schwerpunktsetzung. Gerechtigkeit, RECHTstaatlichkeit (was er ausdrücklich einfordert) sind die ZIELE, die u. a. mit strikt einzuhaltenden Gesetzen als Instrumente erreicht werden können. Instrumente per se sind indifferent. Meist haben sich auch Mubarak, Hitler, Saddam und Bush strikt an die herrschenden Gesetze gehalten derjenigen, die die Macht hatten, ihre Wünsche in Gesetzesform zu gießen. Natürlich muss man sich an die Gesetze halten, aber Niemand steht über dem Recht. So heißts aber überall. Und wenn die Menschen Gerechtigkeit suchen, muss man also zuerst über den Islam reden und danach Regierungsmethoden. Diese Fehlbetonung findet man freilich in fast allen Stellungnahmen überall und man kann allen Völkern nur wünschen, dass sie sich auch zu IHREM unverbrüchlichen Recht bekennen und sich nicht verdummen lassen von Medienpräsidenten á la Berlusconi u. a., die über die Besetzung der Parlamentssitze offen oder verdeckt per Checkbuch abstimmen lassen, um dann (meist) legale Bunga-Bunga Parties mit den jungen Töchtern seiner Untertanen zu feiern, was wiederum von der privaten Hauspresse schöngeschrieben wird (solange es geht, mehrere Jahrzehnte in jedem der genannten Beispiele). Wehret den Anfängen.

Homayoun H.03-04-11

Ich glaube: hätte die westliche Welt, nicht so sehr medial und politisch die arabischen Aufstände als Ruf nach Demokratie in rein westlichem Sinne UND auch noch anti-islamistisch wiedergegeben und immer krampfhaft versucht den Islam komplett rauszuhalen, wohlwissend dass die Menschen alle Muslime sind und wohlwissend dass auch sehr viele Menschen sagen wir mal islamische Parteien wählen würden, hätte sich der Iran auch mit ihrer Version, nämlich dass alles nur ein "islamisches Erwachen nach iranischem Vorbild 1979" ist und sich nur gegen den Westen stellt, zurückgehalten. Zusätzlich kommt die militärische Intervention in Libyen, die alte Erinnerungen wachruft. So wie es momentan ist, ist es eine natürliche Reaktion Irans auf den Westen. Die Wahrheit liegt wohl wie fast immer, irgendwo in der Mitte. Das heisst dass bei den Revolutionen wohl alle Faktoren eine Rolle spielen und alle Seiten Falsch liegen und versuchen "Das Beste" für sich medial rauszuholen und für sich zu vereinnahmen. Das ist meine persönliche Meinung.

Orientalist04-04-11

Die iranische These ist für mich plausibler als die westliche These von Facebook und Twitter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Ägypten, dass so viele Arme hat, die Menschen alle aufgrund von Facebook mobilisiert wurden. Eher dann die arabischen TV Sender wie Al-Jazeera, dass in fast jeden arabischen Haushalt läuft. Und interessanterweise finden die größten Demonstrationen nach dem Freitagsgebet statt.





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